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Grundsätzliches zum Hinduismus
Aus der vedischen Religion entstandene eigene
Richtung, der mit circa 80 Prozent die Mehrheit der indischen Bevölkerung
angehört und die darüber hinaus in vielen Teilen der Welt verbreitet
ist, u. a. in Nepal, Bangladesh, Indonesien, Sri Lanka, Pakistan,
Malaysia, Südafrika, Mauritius, den USA und England. Das persische Wort
Hindu wurde von Sanskrit saindhava; indisch sindhu („Fluss“ oder
genauer der Indus) abgeleitet und bezeichnete im 5. Jahrhundert v. Chr.
die Bewohner jenes Landes nach seinem Fluss, dem Indus. Die Hindus
bezeichnen sich selbst als „jene, die an die Veden glauben“ (siehe
Veda) oder als „jene, die den Weg (Dharma) der vier Klassen (Warnas)
und Lebensstadien (Ashramas) befolgen“.
Die Veränderung, die sich seit der Vedischen Zeit(1300-1000 v.Chr.)
vollzog, tritt am augenfälligsten in der Zunahme der Götterwelt in
Erscheinung. Zwar werden vedische Götter, wie Agni, Mitra, Varuna, Soma
noch verehrt, aber sie sind durch persönliche Gestalten immer mehr in
den Hintergrund gerückt worden. Das ursprüngliche Pantheon (Oberster
Ort, Gericht) wurde durch neue persönliche Götter bestückt.
Die beiden für die Folgezeit zentralen Neuerungen sind die Einsamkeits-
oder Alleinheitslehre verbunden mit dem Erlösungsgedanken und die Lehre
von der Wiedergeburt in einer neuen Gestalt, die aus den im früheren
Leben vollbrachten Taten resultiert.
Der Hinduismus ist eine der bedeutendsten Weltreligionen, nicht nur was
die Zahl seiner Anhänger betrifft (ca. 700 Millionen), sondern auch
aufgrund des großen Einflusses, den er seit etwa 300 v. Chr., während
seiner langen Entwicklungsgeschichte, auf die vielen anderen Religionen
ausübte. Der Hinduismus, der in hohem Maße dazu neigt, fremde Elemente
aufzunehmen, wurde seinerseits von diesen unterschiedlichen Religionen
beeinflusst, was zum größten Teil zu seinem ausgeprägten
Synkretismus, d. h. zu der Vielzahl von Glaubensformen und Praktiken, führte.
Neben der hinduistischen Lehre führten insbesondere die geographischen
und wirtschaftlichen Bedingungen in Indien dazu, dass sich der
Hinduismus zu einem sozialen und religiösen System entwickelte, das
alle Aspekte des menschlichen Lebens bestimmt.
Da die Schriften des Hinduismus mehr von den Taten der Menschen als von
ihrem Denken handeln, findet man, obwohl es nur wenige Praktiken und
Glaubensformen gibt, die von allen ausgeübt werden, eine weitaus größere
Übereinstimmung im Verhalten der Hindus als in ihrem Glauben. Neben der
Rezitation der Gayatri-Hymne bei Morgengrauen gibt es keine festgelegten
oder vorgeschriebenen Gebete. Die meisten Hindus verehren Shiva, Vishnu
oder die weibliche Gottheit Devi. Darüber hinaus werden von Dörfern
und einzelnen Familien Hunderte von kleineren lokalen Gottheiten
angebetet. Es gibt einige wenige Praktiken, die bei fast allen Hindus üblich
sind: die Hochachtung gegenüber ihren Priestern, den Brahmasamadsch,
und die Verehrung der Kuh, das Verbot Fleisch, insbesondere Rindfleisch,
zu verzehren sowie die Eheschließung innerhalb der Kaste (Jati), wobei
die Hoffnung auf männliche Nachkommen vorherrscht. Neben der Hierarchie
des Gesellschaftssystems, die untrennbar mit der Religion verbunden ist
und jeder Person ihren Platz im einheitlichen Gefüge zuweist, gibt es
im Hinduismus weder ein Lehrgebäude noch die Hierarchie einer religiösen
Institution.
Die höchste kanonische Autorität aller Hindus ist die Vedanta
(Abschluss der Veden). Um 600 v. Chr. begann die Entstehung der
Upanishaden, jener mystisch-philosophischen Meditationen über den Sinn
des Lebens und das Wesen des Universums.
In den Erzählungen ist gleichzeitig eine komplexe Kosmologie enthalten.
Die Hindus betrachten das Universum als große, geschlossene Sphäre,
als kosmisches Ei, das zahlreiche konzentrische Himmel, Höllen, Meere
und Erdteile enthält und in deren Mittelpunkt sich Indien befindet. Vom
goldenen Zeitalter bzw. Krita-Yuga ausgehend, gelangt man über zwei
Zwischenperioden, geprägt vom fortschreitenden Verfall der Güte, zur
Gegenwart bzw. dem Kali-Yuga. Am Ende jedes Kali-Yugas wird die Welt
durch Feuer und Flut vernichtet, und ein neues goldenes Zeitalter bricht
an. Das menschliche Leiden ist gleichfalls einem Zyklus unterworfen:
Nach dem Tod verlässt die Seele den Körper und wird im Körper eines
anderen Menschen, eines Tieres, einer Pflanze oder eines Minerals wieder
geboren. Diese endlose Kette von Leben und Wiedergeburten wird Samsara
genannt (Seelenwanderung). Das Schicksal des Menschen in dem neuen Leben
wird dabei von seinen in den vorhergehenden Leben angesammelten guten
oder bösen Taten, dem Karma, bestimmt. Die Hindus glauben daran, dass
das Karma durch Buße und Rituale aufgearbeitet werden kann und dass der
Verzicht auf weltliches Begehren zur Erlösung (Moksha) aus dem ewigen
Kreislauf der Geburten, dem Samsara, führt.
Die Hindus können dementsprechend in zwei Gruppen unterteilt werden:
diejenigen, die nach der heiligen und weltlichen Belohnung (Gesundheit,
Wohlstand, Nachkommen sowie einer vorteilhaften Wiedergeburt) in der
Welt suchen und in jene, die nach Erlösung von der Welt suchen. Die
Grundsätze des ersten Weges, die auf die Veden zurückgehen, werden
heute vom Tempelhinduismus, von der Religion der Brahmanen und vom
Kastensystem vertreten. Der zweite Weg, der in den Upanishaden
vorgeschrieben wird, ist nicht nur Hauptziel der Entsagungskulte (Sannyasa),
sondern auch das Ideal der meisten Hindus.
Die weltliche Richtung des Hinduismus wurde ursprünglich von drei Veden
geprägt, von drei Gesellschaftsklassen (Varnas), drei Lebensabschnitten
(Ashramas) und den drei Zielen der Männer (Purusharthas), wobei die
Ziele oder Bedürfnisse der Frauen in den alten Texten selten erwähnt
werden. Den ersten drei Veden wurde eine vierte, die Atharvaveda,
hinzugefügt. Die ersten drei Klassen (Brahmanen oder Priester,
Kshatriyas oder Krieger und die Vaishyas oder gemeines Volk) wurden von
der Dreiteilung der antiken römischen und griechischen Gesellschaft
abgeleitet. Den drei Gesellschaftsklassen wurde die der Shudras oder
Knechte hinzugefügt, nachdem sich die Indogermanen im Pandschab
niederließen, von wo aus sie das Tal des Ganges besiedelten. Die drei
ursprünglichen Ashramas umfassten das keusche Leben der Brahmanenschüler
(Brahmatscharya), das Leben als Hausvater (Grihastha) und das Leben als
Waldeinsiedler (Vanaprastha). Außerdem hatten sie angeblich drei
Schulden zu begleichen: das Studium der Veden, das sie den Weisen
schuldeten, einen Sohn, den sie den Ahnen schuldeten, sowie die Opfer,
die sie den Göttern schuldeten. Die drei Ziele waren Artha (materieller
Erfolg), Dharma (rechtes Handeln, gemäß der sittlichen Gebote sowie
den Pflichten der Kaste) und Kama (sinnliche Freuden). Kurz nach
Entstehung der ersten Upanishaden und zur Zeit des Aufkommens des
Buddhismus im 6. Jahrhundert v. Chr. wurde ein viertes Ashrama und das
entsprechende vierte Ziel hinzugefügt: der Entsager (Sannyasi), dessen
Ziel die Erlösung (Moksha) von allen anderen Lebensabschnitten, Zielen
und Schulden ist.
Für jede dieser beiden Lebensarten eines Hindus wurden eigene sich
gegenseitig beeinflussende metaphysische und gesellschaftliche Systeme
entwickelt. Das Kastensystem und die ihm zugrunde liegende Philosophie
des Svadharma oder des „eigenen Dharma“ entwickelte sich innerhalb
des weltlichen Hinduismus. Das Svadharma besagt, dass der Mensch geboren
wird, um eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, eine bestimmte Person zu
heiraten, bestimmte Nahrung aufzunehmen und Kinder zu zeugen oder zu gebären,
die dann ihrerseits in gleichem Sinn leben. Auch besagt es, dass es
besser sei, sein eigenes Dharma zu erfüllen als das von anderen, auch
wenn das eigene Dharma minderwertig und verwerflich sei wie jenes der
Paria. Die Paria werden auch „Unberührbare“ genannt, da schon ihre
bloße Anwesenheit den Hindu, der einer anderen Kaste angehört,
beflecken könnte. Das oberste Ziel der weltlichen männlichen Hindu
ist, einen Sohn zu zeugen und großzuziehen, der dann den Ahnen Opfer
darbringen wird (die Shraddha-Zeremonie). Der zweite Weg des Hinduismus,
der der Entsagung, stützt sich auf die Philosophie der Upanishaden von
der Einheit der individuellen Seele, dem Atman, mit Brahman, der
universellen Weltseele oder Gott. Das Erkennen dieser Einheit gilt als
ausreichend, um den Hindu von einer Wiedergeburt zu erlösen. Dieser
Anschauung zufolge könne nichts die Erlösung mehr beeinträchtigen als
die Geburt eines Kindes. Der weltliche Hinduismus hat viele Ziele und
Ideale von dem Hinduismus der Entsagung übernommen, insbesondere die
Idee vom ewigen Dharma, dem Sanatana Dharma. Dieses ewige Dharma ist ein
absolutes und allgemeines ethisches Gesetz, das angeblich alle sekundären,
bedingten und besonderen Dharmas umfasst und gleichzeitig transzendiert.
Der wichtigste Grundsatz des Sanatana Dharma ist für alle Hindus das
Ahimsa, das Gebot, keine Lebewesen zu töten, aus dem der Vegetarismus
folgt. Dieser Grundsatz verhindert jedoch nicht die Gewaltanwendung
gegen Mensch und Tier bzw. das Blutopfer in den Tempeln.
Neben dem Sanatana Dharma wurden noch zahlreiche weitere Versuche
unternommen, die beiden Richtungen des Hinduismus miteinander auszusöhnen.
Das religiös-philosophische Lehrgedicht Bhagavadgita beschreibt drei
Pfade zur religiösen Vervollkommnung. Dem Pfad der Taten oder des
Karma, das sich hier auf Opfer und religiöse Handlungen bezieht, und
dem Pfad der Erkenntnis oder Jnana, der Meditation, wurde ein
vermittelnder dritter Pfad hinzugefügt, und zwar jener der
leidenschaftlichen Hingabe an Gott oder Bhakti. Es ist ein religiöses
Ideal, das die anderen beiden Ideale verbindet und gleichzeitig über
ihnen steht. In allgemeiner Form kann Bhakti sowohl in den Epen wie auch
in einigen der Upanishaden gefunden werden. Seinen vollkommensten
Ausdruck findet es jedoch in der Bhagavadgita. Bedeutende Impulse erhält
Bhakti aber auch von den einheimischen Gedichten und Liedern an die
lokalen Gottheiten, insbesondere jener der Alvaren, Nayanaren und
Viraschaivas aus Südindien sowie die Anbeter Krishnas in Bengalen.
Auf diese Weise war es den Hindus möglich, ihren vedantischen Monismus
(siehe Vedanta) mit der vedischen Vielgötterei in Einklang zu bringen.
Alle individuellen Hindugötter (Saguna genannt, d. h. „mit
Eigenschaften“) werden dem Gott (Nirguna bzw. „ohne
Eigenschaften“), aus dem diese hervorgegangen sind, untergeordnet.
Folglich verehren die meisten Hindus mit Hingabe die Götter (durch
Bhakti), die sie in Ritualen (durch Karma) anbeten und die sie aufgrund
von Meditation (durch Jnana) als höchste Wirklichkeit erkennen. Die
Widerspiegelung dieser höchsten Wirklichkeit ist wiederum die
materielle Welt der Erscheinungen, die als bloße Täuschung (Maya) oder
als Spiel Gottes (Lila) angesehen wird.
Obzwar alle Hindus die Existenz und Bedeutung einer ganzen Reihe von Göttern
und Halbgöttern anerkennen, verehren die meisten individuellen Anbeter
einen einzigen Gott bzw. Göttin, von denen Shiva, Vishnu und die Göttin
Devi die verbreitetsten sind.
Bei Shiva handelt es sich scheinbar um die Verkörperung zweier gegensätzlicher
Naturen, und zwar ist er sowohl Gott der Askese wie auch Gott des
Phallus. Er ist die Gottheit der Entsager, insbesondere der vielen
Shaiva-Sekten, die ihn verehren. In der Tradition des Mythos, soll Shiva
seinen Bruder Brahma geköpft haben, da dieser mit seinen Geschwistern
schlief. Als Strafe musste er Brahmas Totenschädel tragen, bis er in
der Stadt Benares (heute Varanasi) die Erlösung fand. Weitere Sekten
der Shaiva sind die Pashupatas, Verehrer des Shiva Pashupati oder des
„Herrn der Tiere“ und die Aghoris, „die nichts entsetzen kann“,
Yogis, die Kot oder Fleisch essen, um ihre Gleichgültigkeit gegenüber
Freud und Leid zu beweisen. Shiva ist auch der Gott, dessen Phallus (Lingam)
das zentrale Heiligtum aller Shivatempel und persönliches Heiligtum im
Haushalt jedes Shaiva ist. Einer Legende zufolge ließ sich Shiva beim
Liebesspiel mit Parvati nicht einmal durch den Besuch des Weisen Bhrigu
stören und wird daher durch den Phallus verehrt. Weiter wird von ihm
gesagt, dass er in verschiedenen Gestalten als Mensch, Tier und Pflanze
auf der Erde erschien und viele lokale Heiligtümer errichtete.
Vishnu wird als allgegenwärtiger Gott verehrt. Seinem Nabel entsprang
eine Lotosblüte, aus der der Schöpfer (Brahma) geboren wurde. Vishnu
schuf das Universum, indem er den Himmel von der Erde trennte, und
bewahrte es später zahlreiche Male vor dem Untergang. Er wird auch in
Gestalt der Avatara oder „Herabkunft“ (Avatara) verehrt, d. h. in
seinen verschiedenen Inkarnationen, u. a. als Fisch, Schildkröte und
Eber. Andere Inkarnationen sind der Zwerg (Vamana, der sich in einen
Riesen verwandelte, um den Dämon Bali aus dem Universum zu verjagen),
der Mann-Löwe (Marasimha, der dem Dämon Hirayjakasipu den Bauch
aufschlitzte) sowie Buddha (der den frommen Dämonen die falsche Lehre
überbringen sollte), Rama mit der Axt (Parashurama, der seine unkeusche
Mutter köpfte und die gesamte Klasse der Kshatriyas vernichtete, um
seinen Vater zu rächen) und Kalki (der Reiter mit dem weißen Pferd,
der am Ende der Kali-Zeitalters kommen wird, um das Universum zu zerstören).
Die weitaus bekanntesten Inkarnationen sind Rama (Held der Ramayana) und
Krishna (Held der Mahabharata und der Bhagavata-Purana). Beide gelten
als Inkarnationen von Vishnu, obwohl sie ursprünglich Helden des
Menschengeschlechts waren.
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