von Sven Redaktion am
        16.Oct.2003 15:38  
        
        Hallo Pavel,
        
        ich teile Deine Kritik im Motiv, nicht aber in der Konsequenz. Würde
        man ihr folgen, so müsste auch Shirin Ebadi den Friedensnobelpreis zurückgeben,
        denn ein Kissinger war sicherlich kein "Friedensheld", andere
        hingegen schon und auch die würde man in ihrer Ehre verletzen, wenn man
        an Ehrung ablehnte, was sie an Ehrung annahmen. Gewiss "darf"
        man ablehnen, aber nicht ohne solchen Bedacht.
        
        Eine Ehrung sollte wie ein Geschenk betrachtet werden, als Dank und/oder
        Signal, nicht aber wie eine Mitgliedschaft.
        
        Ehrungen sind gewiss Dinge, über die man sich lange freuen kann, aber
        sie schränken einen auch in der Freiheit ein, sich zu ändern, denn die
        Ehrung bedeutet für den Geehrten seinen "Verehrern" eine
        innere Pflicht, es ihnen recht zu machen - nicht "undankbar"
        zu sein.
        
        Viel freier ist hingegen, wer auf jegliche Ehrung verzichtet,
        "niemandem verantwortlich" wird, niemanden enttäuscht.
        Aber diese Freiheit ist trügerisch, denn sie verleitet zur
        Verantwortungslosigkeit und zu menschlicher Illoyalität.
        
        Und: Wer "nie gelobt", "nie geehrt" wird, sollte
        sich auch darauf nicht zu viel einbilden. Deshalb bin ich mitunter
        bescheiden:-)
        
        Der Wert einer Ehrung zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass sie
        dem Geehrten die Freiheit zum Wandel belässt. Aberkennungsmöglichkeiten
        würden die beschriebene Verantwortlichkeit in Bevormundung übersteigern.
        
        Menschen sind keine Götter. Menschen können irren. Falls es Götter
        gibt, irren möglicherweise auch sie.
        Irren ist nicht nur menschlich in dem Sinne, dass der Irrtum
        unvermeidlich ist, sondern es folgt daraus zugleich, dass der Mensch
        auch irren "darf" - im Maß seines Einsichtsvermögens.
        
        Die Folgen des Irrtums zu beschränken, auch das ist persönliche und für
        alle "politische Aufgabe" aus Verantwortlichkeit und Vernunft.
        Daraus begründet sich mitunter das "Prinzip Verantwortung"
        (Hans Jonas), dem ich mit diversen kleinen Vorschlägen aus meinen
        Sichtweisen zu genügen versuche:
        
        - Moratorium für industrielle Anwendungen, solange grundlegende
        theoretische Fragen ungeklärt sind (z.B. Atomenergie),
        
        - Moratorium sogar für die Forschungen, solange politische
        Kontrollinstrumente unterentwickelt sind,
        
        - Kontrolle der Massenvernichtungswaffen durch die UN, solange deren
        Beseitigung politisch nicht eingesehen und realisiert ist, ...
        
        ./.
        
        Man könnte die Ehrung als solche in ihrer Sinnhaftigkeit anzweifeln.
        Aber auch das tue ich nicht, denn oftmals bleibt keine Alternative,
        Menschen zu loben, weil sie nicht zur Wahl stehen - und doch wichtig/förderlich
        sind für die Allgemeinheit.
        
        Ich halte die Ehrung der Nichtfunktionäre für ein bedeutsames
        Korrekturelement des notwendig mit jeglicher Staatlichkeit
        einhergehenden Funktionärsapparates. Preise werden nicht immer mit
        dieser "Signal"-Intention vergeben, sondern oft nur als
        "Dank". Für beide Fälle gibt es Veranlassung und Irrtumsmöglichkeiten.
        
        Die Frage der Ehrwürdigkeit stellt sich also für jede Preisvergabe
        gesondert, zumindest was den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
        anbelangt oder den Friedensnobelpreis. Bei den Wissenschaftspreisen hat
        man es da nur vermeintlich leichter.
        
        Susan Sontag braucht nicht perfekt zu sein. Sie steht für viele
        Menschen, die sich nicht auf die Polarisierungsforderungen der Mächtigen
        einlassen. Sie ist dadurch oft einsam, aber hebt damit die Einsamkeit für
        viele Menschen auf.
        
        Susan Sontag ist erfolgreich - und das gönne ich ihr mehr als vielen
        anderen mit deren Anliegen.
        
        Ebenso offenbar Shirin Ebadi, die ich zu meiner Schande überhaupt nicht
        kannte.
        
        Beide Frauen sind sich recht unterschiedlich, wenn man die Recherche
        nachholt, was Ebadi betrifft, aber ihre "Ansätze" sind mir um
        vieles interessanter als ich durch "Köpfe" wie Schröder und
        Merkel unverwöhnt bin. Und letztere werden durch Wahlergebnisse geehrt,
        was ich nicht nur nicht hindern kann, sondern auch noch mitverantworte.
        - So betrachtet ist mir gewiss die "Ehrung" auch etwas
        "Wiedergutmachung", eben Korrektur des tatsächlich Mächtigen.
        
        Ich würde mir wünschen, dass wir die Zeit fänden, zumindest den www.Demokratiepreis.de 
        "würdig" zu machen. 
         Für den www.Friedenspreis.de 
        hingegen wird es bei uns (vermutlich) nie reichen.
        
        Pavel, ich schätze Dich als freien Geist und ich denke halt anders über
        Ehrungen.
        
        Grüße von  Sven