DER SPIEGEL 39/2000  CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER

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Fortsetzung  "Benzin und Streichholz"

Der Ausstieg

Am nächsten Morgen brechen beide, auf Drängen von Carla, wieder Richtung Mainz auf. Auf erbauliche Vorträge muss Hans verzichten. Carla plagen mittlerweile Alpträume. Sie wird das Gefühl nicht los, abgehört zu werden. Zu Ursel Müller und der HNG war sie schon nach den Straftaten auf Distanz gegangen. Langsam bröckelt der Spaß am nationalen Widerstand und die Motivation, sich den Regeln der Bewegung zu unterwerfen. "Mir hat dann auch meine Musik gefehlt. Ich hab öfter an die Red Hot Chilli Peppers gedacht. Das kannste alles nicht mehr hören", denkt sich Carla.

Immer häufiger kommt es zum Streit mit Hans. Nachdem sich Carla ihrer Tochter anvertraut hatte, rückte sie ihre alten CDs und Bücher wieder nach vorne ins Regal. Kurz vor Silvester kommt es zum Eklat mit ihrem Verlobten, der inzwischen allein der Szene die Treue hält.

Carla nimmt die Heß-Plakate und Führerbilder ab, stopft die antisemitischen Hetzschriften in einen Koffer. Hans zieht zu seinem Vater. Sie probieren eine Beziehung auf Distanz. Wieder kippt die Stimmung bei Carla und Tina. Eben noch mit Begeisterung in der Neonazi-Szene, wollen sie jetzt von all dem nichts mehr wissen.

Doch Hans vermisst Carla. Nach einem Silvesterbesäufnis mit heftigem Streit versöhnen sie sich wieder. Hatte Hans seiner Lebensgefährtin bisher mit der Glorifizierung des Nationalsozialismus zu einem simplen Weltbild mit Überlegenheitsgarantie verholfen, setzt sie ihm jetzt mit bohrenden Fragen zu. Warum die Nazis Bücher verbrannten, will Carla wissen, wenn die Bewegung so toll gewesen ist?

Das Urteil

Am Morgen des 24. Februar, um sieben Uhr, steht die Polizei vor ihrer Tür. Tina und Hans werden in getrennten Fahrzeugen nach Mainz aufs Polizeirevier gebracht. Carla muss während der folgenden Hausdurchsuchung in der Wohnung bleiben. Eigentlich ist sie erleichtert.

Während Tina im Mainzer Polizeipräsidium vernommen wird, überlegt die Mutter, alles auf ihre Kappe zu nehmen, um der Tochter die Zukunft nicht zu verbauen. Sie hat Angst, dass Tina nach einer Verurteilung keine Lehrstelle bekommt.

Tina will erst mit Rücksicht auf Carla nicht aussagen, packt dann doch aus, nachdem ihr die vernehmende Beamtin gesagt hatte, sie wisse ohnehin schon alles. Unterdessen ist auch ihre Mutter auf dem Weg zu ihrem Verhör. Schon auf der Fahrt zum Präsidium will sie alles erzählen. Nur Hans, der inzwischen auf das Polizeirevier in Mainz-Lerchenberg verlegt wurde, zögert noch. Weder seine Verlobte noch deren Tochter will er belasten.

Er gibt zu, zu wissen, wer den jüdischen Friedhof in Alsheim geschändet hat, nur Namen will er nicht nennen. Während Carla die Nacht in einer Zelle verbringt, wird Tina nach Hause geschickt. Erst am nächsten Morgen, ohne zu wissen, ob Tina sich zu ihren Taten bekannt hat oder nicht, beichtet auch Carla.

Der schweigende Hans wird mit der Bemerkung entlassen, er werde noch von der Polizei hören. Nach gut zwei Wochen will er sich dort freiwillig gemeldet und darauf gedrängt haben, auszusagen. "Dann habe ich halt erzählt, wie das mit der Synagoge in Worms war", erklärt Hans mit leiser Stimme.

Die Ermittler erfahren von ihm auch Hintergründe aus der rechten Szene, die nicht für die Straftaten relevant waren. Mit dieser Aussage ist Hans zum Verräter geworden. Alle drei verzichten auf einen Handel mit der Staatsanwaltschaft ­ Wissen gegen ein mildes Urteil ­, hoffen aber, dass ein Geständnis nicht von Nachteil ist.

Vier Tage nach der Hausdurchsuchung schreiben Mutter und Tochter einen Brief an die jüdische Gemeinde in Mainz und entschuldigen sich für ihre Taten. Carla gibt den Brief persönlich ab. Der angerichtete Sachschaden, so erfahren sie im Juli dieses Jahres durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft aus Mainz, beträgt 20 000 Mark. Es droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Auf einen Anwalt für den bevorstehenden Prozess am Jugendschöffengericht in Mainz verzichten sie, "weil die Taten, die wir begangen haben, nicht zu verteidigen sind".

Hans, dem die Abkehr von der Szene schwerer fällt ("Das waren ja meine Freunde"), schreibt seinen Entschuldigungsbrief erst Ende März. So wie er sich früher die antisemitische Ideologie seines Idols Julius Streicher erarbeitet hat, erliest sich Hans nun seine Kritik am eigenen Weltbild. So wie er früher antisemitische Propaganda verbreitet hat, will er jetzt mit seinem Wissen über die Mechanismen und die Dynamik der rechtsextremen Bewegung berichten. Er sieht sich schon als Anlaufstelle für Journalisten.

"Jeder kann bei uns seine Meinung frei äußern. Voraussetzung ist allerdings: Sie entspricht der von uns veröffentlichten", lautet einer der Stempel auf den Briefen Curt Müllers, die er den dreien immer noch hinterherfaxt. Er fordert die ausgeliehenen Bücher von den ehemaligen HNG-Mitgliedern ein. Doch das eine, das sie ihm noch nicht zurückgeschickt haben, lagert in der Asservatenkammer der Polizei. Es ist ein in Neonazi-Kreisen beliebtes Buch: "Gedenkstätten der Opfer des Nationalsozialismus". Die aufgeführten Adressen dienten als Wegweiser für Attentäter. 

CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER


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Kommentar von Sven KLICK

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