DER
SPIEGEL 39/2000 CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER URL: www.spiegel.de/spiegel/0,1518,95980,00.html Fortsetzung "Benzin und Streichholz" Der Ausstieg
Am nächsten Morgen brechen beide, auf Drängen von Carla, wieder Richtung
Mainz auf. Auf erbauliche Vorträge muss Hans verzichten. Carla plagen
mittlerweile Alpträume. Sie wird das Gefühl nicht los, abgehört zu werden. Zu
Ursel Müller und der HNG war sie schon nach den Straftaten auf Distanz
gegangen. Langsam bröckelt der Spaß am nationalen Widerstand und die
Motivation, sich den Regeln der Bewegung zu unterwerfen. "Mir hat dann auch
meine Musik gefehlt. Ich hab öfter an die Red Hot Chilli Peppers gedacht. Das
kannste alles nicht mehr hören", denkt sich Carla.
Immer häufiger kommt es zum Streit mit Hans. Nachdem sich Carla ihrer
Tochter anvertraut hatte, rückte sie ihre alten CDs und Bücher wieder nach
vorne ins Regal. Kurz vor Silvester kommt es zum Eklat mit ihrem Verlobten, der
inzwischen allein der Szene die Treue hält.
Carla nimmt die Heß-Plakate und Führerbilder ab, stopft die antisemitischen
Hetzschriften in einen Koffer. Hans zieht zu seinem Vater. Sie probieren eine
Beziehung auf Distanz. Wieder kippt die Stimmung bei Carla und Tina. Eben noch
mit Begeisterung in der Neonazi-Szene, wollen sie jetzt von all dem nichts mehr
wissen.
Doch Hans vermisst Carla. Nach einem Silvesterbesäufnis mit heftigem Streit
versöhnen sie sich wieder. Hatte Hans seiner Lebensgefährtin bisher mit der
Glorifizierung des Nationalsozialismus zu einem simplen Weltbild mit Überlegenheitsgarantie
verholfen, setzt sie ihm jetzt mit bohrenden Fragen zu. Warum die Nazis Bücher
verbrannten, will Carla wissen, wenn die Bewegung so toll gewesen ist?
Das Urteil
Am Morgen des 24. Februar, um sieben Uhr, steht die Polizei vor ihrer Tür.
Tina und Hans werden in getrennten Fahrzeugen nach Mainz aufs Polizeirevier
gebracht. Carla muss während der folgenden Hausdurchsuchung in der Wohnung
bleiben. Eigentlich ist sie erleichtert.
Während Tina im Mainzer Polizeipräsidium vernommen wird, überlegt die
Mutter, alles auf ihre Kappe zu nehmen, um der Tochter die Zukunft nicht zu
verbauen. Sie hat Angst, dass Tina nach einer Verurteilung keine Lehrstelle
bekommt.
Tina will erst mit Rücksicht auf Carla nicht aussagen, packt dann doch aus,
nachdem ihr die vernehmende Beamtin gesagt hatte, sie wisse ohnehin schon alles.
Unterdessen ist auch ihre Mutter auf dem Weg zu ihrem Verhör. Schon auf der
Fahrt zum Präsidium will sie alles erzählen. Nur Hans, der inzwischen auf das
Polizeirevier in Mainz-Lerchenberg verlegt wurde, zögert noch. Weder seine
Verlobte noch deren Tochter will er belasten.
Er gibt zu, zu wissen, wer den jüdischen Friedhof in Alsheim geschändet
hat, nur Namen will er nicht nennen. Während Carla die Nacht in einer Zelle
verbringt, wird Tina nach Hause geschickt. Erst am nächsten Morgen, ohne zu
wissen, ob Tina sich zu ihren Taten bekannt hat oder nicht, beichtet auch Carla.
Der schweigende Hans wird mit der Bemerkung entlassen, er werde noch von der
Polizei hören. Nach gut zwei Wochen will er sich dort freiwillig gemeldet und
darauf gedrängt haben, auszusagen. "Dann habe ich halt erzählt, wie das
mit der Synagoge in Worms war", erklärt Hans mit leiser Stimme.
Die Ermittler erfahren von ihm auch Hintergründe aus der rechten Szene, die
nicht für die Straftaten relevant waren. Mit dieser Aussage ist Hans zum Verräter
geworden. Alle drei verzichten auf einen Handel mit der Staatsanwaltschaft
Wissen gegen ein mildes Urteil , hoffen aber, dass ein Geständnis nicht von
Nachteil ist.
Vier Tage nach der Hausdurchsuchung schreiben Mutter und Tochter einen Brief
an die jüdische Gemeinde in Mainz und entschuldigen sich für ihre Taten. Carla
gibt den Brief persönlich ab. Der angerichtete Sachschaden, so erfahren sie im
Juli dieses Jahres durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft aus Mainz,
beträgt 20 000 Mark. Es droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Auf
einen Anwalt für den bevorstehenden Prozess am Jugendschöffengericht in Mainz
verzichten sie, "weil die Taten, die wir begangen haben, nicht zu
verteidigen sind".
Hans, dem die Abkehr von der Szene schwerer fällt ("Das waren ja meine
Freunde"), schreibt seinen Entschuldigungsbrief erst Ende März. So wie er
sich früher die antisemitische Ideologie seines Idols Julius Streicher
erarbeitet hat, erliest sich Hans nun seine Kritik am eigenen Weltbild. So wie
er früher antisemitische Propaganda verbreitet hat, will er jetzt mit seinem
Wissen über die Mechanismen und die Dynamik der rechtsextremen Bewegung
berichten. Er sieht sich schon als Anlaufstelle für Journalisten.
"Jeder kann bei uns seine Meinung frei äußern. Voraussetzung ist
allerdings: Sie entspricht der von uns veröffentlichten", lautet einer der
Stempel auf den Briefen Curt Müllers, die er den dreien immer noch
hinterherfaxt. Er fordert die ausgeliehenen Bücher von den ehemaligen
HNG-Mitgliedern ein. Doch das eine, das sie ihm noch nicht zurückgeschickt
haben, lagert in der Asservatenkammer der Polizei. Es ist ein in Neonazi-Kreisen
beliebtes Buch: "Gedenkstätten der Opfer des Nationalsozialismus".
Die aufgeführten Adressen dienten als Wegweiser für Attentäter.
CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER |
|
zurück zum Anfang der Reportage KLICK | |
Kommentar von Sven KLICK |
|
gehacktes Forum |
ARGUMENTE
GEGEN HASS UND GEWALT
DIE www.INITIATIVE-DIALOG.de
DANKT
DEM SPIEGEL FÜR
DIE SENSIBLE BEARBEITUNG DES THEMAS
Hinweis
an unsere "braunen Kameraden":
ES WURDE KEIN HONORAR VEREINBART/GEZAHLT.
andere >> Rechtsextremismus-Aussteiger berichten