DER
SPIEGEL 39/2000 CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER URL: www.spiegel.de/spiegel/0,1518,95980,00.html Fortsetzung "Benzin und Streichholz" Die große Liebe
Als die Sonnenwendfeier steigt, dient Hans noch in Idar-Oberstein. Ihm gefällt
zwar nicht, dass ihm Carla an diesem Abend seinen Schlafsack entwendet und er in
Herbis Auto übernachten muss. Doch er findet Gefallen an der burschikosen Frau
seine erste große Liebe.
Hans wird den Müllers vorgestellt. Die HNG kannte er nur vom Hörensagen.
Das nationalsozialistische Mausoleum in Gonsenheim beeindruckt ihn. Im
"kleinen Walhall", einer Art Bar im Wohnhaus, darf er eine echte
Hakenkreuzfahne bewundern. Und von Curt Müller kann er noch viel über den
Nationalsozialismus lernen.
Carla und Tina wollen auch dazugehören. Mit arischblond gefärbten Haaren,
Braunhemd und Springerstiefeln marschiert Tina fortan in die Schule. Abends
bringt sie mit ihrer Mutter Aufkleber an Laternenmasten und Eingangstüren an.
Die Aufkleber, auch größere mit dem Motiv Rudolf Heß, gibt es kostenlos bei Müllers.
In der Nacht zum 26. August 1999 begehen Carla, Tina und Hans ihre erste
gemeinsame Straftat. Sie setzen sich ins Auto und fahren nach Worms. An der
historischen Stadtmauer parken sie Carlas Wagen. Hans, als zu behäbig für die
Aktion befunden, muss auf dem Beifahrersitz ausharren.
Carla und Tina schleichen sich langsam Richtung Judengasse durch die Nacht.
Ihr Ziel ist die Synagoge von Worms. Während die Mutter zur Spraydose greift,
steht die Tochter Schmiere. "Juda verrecke", "Deutschland
erwache", Hakenkreuze und Wolfsangel werden auf die Nordwand der Synagoge
gesprüht. Einmal in Fahrt beschmiert Carla auch das benachbarte Raschi-Haus,
ein Gemeindezentrum.
Gut einen Monat später, nach einem Angriff "linker Zecken" auf das
Auto des hessischen JN-Vize Frank Ludwig, unternehmen sie eine
Vergeltungsaktion. Sie verlassen eine Geburtstagsparty und fahren zum Sitz der
Antifa im Stadtzentrum von Gießen. Sie sprühen derart auffällig Hakenkreuze
ans Haus, dass eine Polizeistreife sie abgreift; die Nacht verbringen sie auf
der Wache. Für diese Tat müssen sie sich vor Gericht verantworten.
Nur drei Tage später sind sie auf dem Weg nach Biblis. Sie wollen zum
Konzert von Frank Rennicke. Doch sie werden von der Polizei gestoppt. In ihrer
Montur gleichen sie so sehr der SA, dass sie wieder auf der Polizeiwache landen:
wegen Verstoßes gegen das Uniformierungsverbot.
Drei Tage später, Hans ist krank und übernachtet in der Klotzberg-Kaserne
in Idar-Oberstein, folgt die letzte Straftat. Wieder wollen sie sich Ursel Müller
beweisen, die für den Hass in ihren Köpfen sorgte. Carla und Tina schreiten
zur Tat: "Wir wollten ein Fanal setzen!"
Vorher hatten sie in der Szene gehört, was es bei der Schändung von jüdischen
Friedhöfen zu beachten gilt: immer Handschuhe anziehen, dazu Gummistiefel und
Papieroveralls, wie Lackierer sie benutzen, aus dem Baumarkt. Nach der Tat
sofort beseitigen und schweigen.
In der Nacht zum 28. September 1999 setzen sich Mutter und Tochter wieder ins
Auto. Erneut fahren sie Richtung Worms. Kurz hinter einer ehemaligen Tankstelle
parken sie das Auto auf einem Feldweg. Handschuhe an, Spraydose aus dem
"Sondereinsatz-Koffer", der immer im Auto liegt, und los. Carla
klettert auf die fast zwei Meter hohe Mauer des jüdischen Friedhofs in Alsheim,
zieht ihre Tochter Tina, die Knieprobleme hatte, in der Dunkelheit hoch.
Sie stürzen 35 Grabsteine um, einige zerbrechen. Während Tina weiter Gräber
schändet, sprüht Carla mit schwarzer Farbe "Juda verrecke",
"Deutschland erwache", "Zion stirb", ein Hakenkreuz und
andere Symbole der rechten Szene an die Friedhofsmauer. Wenig später
verschwinden Turnschuhe und Spraydose im Rhein. Der einsetzende Regen beruhigt
sie.
Hans wird über die Aktion unterrichtet: "Wir haben Gärtnerarbeiten
gemacht." Zwar sorgt er sich, weil der Tatort zu nah an der Wohnung der
inzwischen regional bekannten Rechtsextremisten liegt. "Wir sind doch voll
im Fahndungsraster der Polizei", denkt der Neonazi. Allerdings beruhigt
auch ihn der Regen, der die Spuren verwässern soll. Ein Irrtum, wie sich bald
herausstellt.
Hans, mittlerweile aus der Bundeswehr entlassen, widmet sich als Arbeitsloser
noch intensiver der Bewegung. Noch ein- mal taucht er mit Carla, die inzwischen
ahnt, dass die Straftaten auch zu Strafen führen, in die Welt der Neonazis ein.
Anfang Dezember fahren beide Richtung Harz, um an einer Julfeier, der
Wintersonnenwende, teilzunehmen. Geladen hatte die Artgemeinschaft. In diesem
Zirkel verkehren die vermeintlichen Vordenker der rechtsextremen Bewegung. Der
eingetragene Verein beruft sich auf die "germanischen Sittengesetze".
Angeführt vom Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger, wird das
"Sittengesetz unserer Art" postuliert, dass die "gleichgeartete
Gattenwahl, die Gewähr für gleichgeartete Kinder" und "Härte und
Hass gegen Feinde" vorschreibt.
Unter dem Deckmantel religiöser Veranstaltungen trifft man sich im
Verborgenen. Mitglieder der Artgemeinschaft erhalten folkloristisch klingende
Einladungen: "Am Sonnabend Abend findet unser bunter Abend um den Metkessel
mit Singen, Volkstanz und spontanen Beiträgen von Gefährten statt." Wohin
die Mitglieder fahren müssen, erfahren sie erst nach ihrer verbindlichen
Anmeldung.
Das rechtsextreme Pärchen kommt spät in dem ostdeutschen Wintersportort an.
Noch auf dem Parkplatz der Ferienanlage streiten sie sich. Carla will das
verhasste Kleid nicht anziehen. Doch sie fügt sich.
Der Saal des Gasthofs ist gut gefüllt. Etwa 150 Anhänger des
neofaschistischen Germanenkults haben sich versammelt. Als erstes kommt den
beiden der ehemalige Rechtsterrorist Manfred Roeder entgegen. Auch Steffen
Hupka, 85, ist dabei. Der NPD-Funktionär, Ex-Führungskader der verbotenen
"Nationalistischen Front" (NF), ist direkt nach dem Fall der Mauer
nach Quedlinburg in den Ostharz gezogen. Er koordiniert die neofaschistischen
Aktivitäten in Sachsen-Anhalt.
Auf einem Stuhl sitzt eine alte Frau, der sie artig die Hand geben.
Florentine Rost van Tonningen, 84, eng befreundet mit der Tochter Heinrich
Himmlers, Gudrun Burwitz. Auf Wunsch erzählt sie Anekdoten von Himmler.
Die leise sprechende Frau war mit Meinoud Marinus van Tonningen verheiratet,
Sturmbannführer der Waffen-SS und im Dritten Reich Präsident der niederländischen
Nationalbank. In ihrer Villa trafen sich über Jahre die verbliebenen Getreuen
des verstorbenen deutschen Neonazi-Führers Michael Kühnen. Van Tonningen küm
mert sich in den Niederlanden, wie Ursel Müller in Deutschland, um die so
genannten politischen Gefangenen. "Consortium de Levensboom" heißt
ihre Organisation.
Carla und Hans plaudern mit Hans-Jürgen Hertlein, Landesführer des
"Stahlhelm" in Rheinland-Pfalz. Die Organisation ruft in ihrem
Kampfblatt "Frontsoldat" dazu auf, für "die neue Zeit zu kämpfen",
in der Deutschland wieder eine souveräne Regierung habe.
Wenig später unterhält sich Hans mit Jürgen Mosler, 44, Ex-Generalsekretär
der
verbotenen FAP. Auch Frank Rennicke fehlt nicht in diesem illustren Kreis.
In einem Hinterzimmer bieten Antiquariate und Devotionalienhändler ihre
Waren feil. Unter der Hand werden auch indizierte Musikkassetten verkauft, etwa
vom "Weißen Arischen Widerstand" (WAW). Bevor der Kesse l mit dem süffigen
Honigtrank vom Zeremonienmeister Rieger durch das dreimalige Leeren eines
Methorns freigegeben wird, müssen die Gäste den "Auftanz", eine Art
Polonaise, absolvieren.
Fortsetzung
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