DER
SPIEGEL 39/2000 CAROLIN EMCKE, CHRISTOPH MESTMACHER URL: www.spiegel.de/spiegel/0,1518,95980,00.html Fortsetzung "Benzin und Streichholz" Rede im Feuerschein
Die Einladung hatte zu viel versprochen bis auf Hans. Er war keiner von
diesen Proll-Glatzen, sondern diente bei der Bundeswehr und arbeitete an seinem
Bild als künftiger Ideologe der neonazistischen Bewegung. Bei den Jungen
Nationaldemokraten in Hessen war er zum Beisitzer in den Landesvorstand aufgerückt.
Seine geschliffene Rede im Feuerschein beeindruckt die Frauen.
Die Vergangenheit mutete Hans stets märchenhaft und abenteuerlich an. Sein
Großvater erzählte Heldengeschichten vom Krieg und erklärte den
Antisemitismus auf die katholische Art: "Die Juden haben unseren Herrgott
ans Kreuz genagelt, die werden ihr Fett schon wegkriegen."
Wenn der Junge Hans mit Freunden Spielzeugarmeen bewegte, kommentierte
Opa fachkundig das Kampfgeschehen: Maschinengewehre nannte er
"Hitlersensen" und die Gasmaske, prahlte er, habe er damals in zehn
Sekunden aufgesetzt.
Das folkloristisch braune Weltbild prägte die Kinderzeit. Ein Jägerfreund
des Vaters nannte den Hochsitz "Wolfsschanze", andere besiegelten das
Ende eines Halalis mit Bierflaschen, die als Hakenkreuz aufgestellt wurden. Zum
Abschied ließen die Weidmänner Hermann Göring hochleben. Fasziniert studierte
der dickliche Hans mit 14 die "National-Zeitung".
Als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl während der
Zwei-plus-Vier-Verhandlungen endgültig auf die ehemaligen Ostgebiete
verzichtet, empört er sich. Hans schreibt dem DVU-Parteichef Frey einen Brief,
in dem er sein "Entsetzen" mitteilt. Beeindruckt hält der Hauptschüler
wenig später Freys Antwortschreiben in den Händen.
Hans machte den Hauptschulabschluss, eine Dreher- und Bäckerlehre und
versuchte sich als Rodeoreiter in einer Showtruppe. Die
"National-Zeitung" begleitet ihn. Im Werbeprospekt aus einem
rechtsextremen Versandhandel wurde er auf den nationalen Liedermacher Frank
Rennicke aufmerksam. Hans bestellte eine CD.
Rennicke, ehemaliges Mitglied der heute verbotenen Wiking Jugend, ist der
neue Barde der Bewegung, den alle kennen, vom Nachwuchsskin bis zum Altnazi.
Hans schrieb dem braunen Sänger und fragte, wie er der nationalen Sache dienen
könne.
Wieder kam die Antwort prompt. In einem Laden in Ludwigshafen könne er sich
informieren und gleich für die NPD-Demo anmelden, am 1. Mai 1998 in Leipzig.
Der erste Kontakt mit der Szene ist ein Schock für Hans. Ein wuchtiger
Glatzkopf stellt sich ihm in den Weg: Christian Hehl, 30, wegen Körperverletzung
und Volksverhetzung mehrfach verurteilter Neonazi. Der Schläger darf sein
eigenes Geschäft betreiben, bis der Szene-Treffpunkt auf Druck einer Bürgerinitiative
geschlossen wird.
In "Hehls World" gibt es alles, was Glatzen glücklich macht:
einschlägige T-Shirts, Musik, Messer und vor allem Termine. Eingeschüchtert
meldet sich Hans für die Leipziger Demo an.
Seine Vorstellungen von der Szene sind rührend. Weil er sich zu Hause
angelesen hat, dass die Nationalen sauber und ordentlich sind, kommt er wie
Haiders Bergbub zum Bus, in weißem Hemd und Trachtenjanker. Die bierseligen
Skins johlen.
In der "Bild am Sonntag" wird der ordentliche junge Mann auf einer
halben Seite abgebildet. Hans ist zufrieden, schließlich hatte er sich ohne
Scheu den Kameramännern und Fotografen gestellt. "Besser, die nehmen mich
als so einen Hauer von Skin", denkt er.
An die Bierbäuche der Glatzen mit den gewaltigen Tätowierungen kann sich
Hans dennoch nicht gewöhnen. Auch andere Nationale versprechen Wehrsportübungen
und Zeltlager, dabei wollen sie nur saufen. Er wird von den Kameraden verhöhnt,
weil er sich wäscht und nicht mittrinkt.
Notgedrungen akzeptiert er die Bande, weil sie für Präsenz auf den Straßen
sorgt. Dass sie ihn als "Scheitel" verlachen, ihn verprügeln, als
sich versehentlich in der Mannheimer "Schmuckerstube" ein Schuss aus
seiner Schreckschusspistole löst, nimmt er hin.
Denn inzwischen hat auch Hans seine Clique gefunden, die JN. Mit ihnen begeht
der Szene-Lehrling seine erste Straftat. Im August 1998 bepflastert er mit drei
Jungnationalen die Rheinpromenade in Worms mit JN-Propagandamaterial.
Plötzlich fahren vier Polizeiautos und zwei Busse vor. Hans springt in eine
Hecke. Als seine Kameraden verhaftet werden, erhebt er sich: "Hallo, ich
bin auch noch da", ruft er, um nicht als Feigling zu gelten.
Die Beamten erweisen sich als harmlos. Nach einer Nacht auf dem Revier werden
den Jungnazis die JN-Aufkleber wieder ausgehändigt. Die Ermittlungsbehörden dürfen
nur ein Exemplar beschlagnahmen. Auf dem Rückweg verkleben sie die restlichen
Sticker.
Durch die JN lernt er einstige Kader der verbotenen "Freiheitlichen
Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) kennen. Auf einer Ungarnfahrt trifft er
erstmals einen der Wichtigen im braunen Netzwerk: Friedhelm Busse, 71,
Ex-FAP-Chef, bis zu seinem Parteiausschluss 1971 Mitglied der NPD, verurteilt
wegen Volksverhetzung, Sprengstoff- und Waffenbesitz und Weiterführung einer
verbotenen rechtsextremen Organisation.
Der grauhaarige Altnazi ist eine Legende, weil er Adolf Hitler die Hand geschüttelt
haben will. Der eifrige Junge kommt an. Busse verkauft Hans eine Jubiläumsausgabe
von Hitlers "Mein Kampf" für 70 Mark, dafür mit Widmung: "Ohne
Mut keine Freiheit! Keine Freiheit ohne Mut!"
Am 3. Mai 1999 tritt Hans den Wehrdienst an; in Kniebundhose, hellbraunem
Hemd, mit Kartenmeldetasche und einem Hitlerbart unter der Nase meldet er sich
in der Klotzberg-Kaserne in Idar Oberstein.
Es dauert ein halbes Jahr, bis die Truppe, die Verteidigungsminister Rudolf
Scharping für ihr erbarmungsloses Vorgehen gegen alles Braune lobt, erkennt,
dass sie einen bekennenden Neonazi an der Waffe ausgebildet hat. Erst als Hans
am 13. September auf der Stube zu laut über "Judenschweine" herzieht
und einen Obergefreiten für die JN werben will, wird gegen ihn ein siebentägiger
Arrest verhängt. Vereidigt wurde
er zuvor dennoch, auf die freiheitlichdemokratische Grundordnung. Am 11.
November 1999, sechs Monate nach seinem Dienstantritt, schreibt Brigadegeneral
Axel Bürgener, einen Brief an Hans.
Dem "Herrn Gefreiten" wird mitgeteilt, dass er wegen "Gefährdung
der militärischen Ordnung" fristlos aus der Bundeswehr entlassen wird. Das
Dokument führt detailliert auf, wie offen der Neonazi seit Dienstantritt seine
verfassungsfeindliche Grundeinstellung offenbarte:
In einem Gespräch mit BttrChef, 2./BeobPzArtLehrBtl 51 am 03.05.99 gaben Sie
an, dass Sie aktives Mitglied der Jungorganisation der Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands seien und ihren politischen Werdegang innerhalb der Partei
auf Landesebene suchen.
Sie befürworten und bejahen die Wiking-Jugend, Ihre Mitgliedschaft sei an
deren Verbot gescheitert. Zur Zeit ist ein Verfahren nach §86a StGB ( Verwenden
von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) gegen Sie anhängig.
Bei einer Vernehmung durch den BttrChef, 2./BeobPzArtLehrBtl 51 am 05.05.99
gaben Sie an, dass Sie gemeinsam mit Gleichgesinnten Ausbildungen wie z. B.
Zeltlager oder Anschleichen, sowie Bekämpfen eines MG-Nestes nachempfunden
haben (ohne Waffeneinsatz). Sie haben mehrmals an Demonstrationen wie z. B.
gegen die Wehrmachtsausstellung teilgenommen.
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an unsere "braunen Kameraden":
ES WURDE KEIN HONORAR VEREINBART/GEZAHLT.
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