Zwischen Stolz, Bedauern und Schande
Lieber Hans-Michael, DANKE für dein Posting, dem ich ganz weitgehend zustimme, bloß im wichtigen Punkt des Stolz-Themas nicht, denn wir brauchen uns von niemandem einreden zu lassen, dass "die Väter unserer Generation pauschal zu Tätern gemacht" würden, zumal man sich dem Kriegsdienst mitunter nur hängend am Galgen entziehen konnte.
Darum hörte ich solchen Vorwurf sogar auch nicht in Russland, obgleich
Nazi-Deutschland dort wütete, wie in keinem anderen Land.
Und wenn es doch mal passiert wäre, dort oder sonstwo in Europa, hätte ich
auch dafür Verständnis gehabt, denn solchen Eindruck durften man durchaus von
Nazi-Deutschland haben, weil sich Deutsche sich in Gesetzen und Propaganda
offiziell zur "arischen Herrenrasse" erklärten und insbesondere
Juden, Zigeuner und Osteuropäer als "Untermenschen" verleumdeten.
Also wer von unseren Vorfahren solchen Schurken brav gehorchte, sei es aus Angst oder aus Dummheit, den können wir vielleicht bedauern, wenn wir vermuten, dass wir oder andere in solcher Situation ähnlich widerstandslos gewesen wären, aber Grund zum "Stolz" ist es nun wahrlich nicht.
Wenn Gauland & Co. "auf die tapferen Wehrmachtssoldaten stolz sein will", dann macht er aus Leuten Helden, die sich als wahre Helden anders hätten verhalten müssen. Denn Held ist ja eigentlich nur derjenige, der etwas Positives leistet. Und das kann ja nicht so wirklich der Fall sein, wenn jemand für "Führer" und "Herrenrasse" den Kontinent zu erobern versuchte - und zum Wohle der Überlebenden scheiterte.
Also, ich klage nicht "die Soldaten" pauschal als Verbrecher an, hatte selbst solche Verwandten, aber stolz bin ich eindeutig eher auf solche, die dann bis spät in die Siebziger als "Drückeberger" von den Braven beschimpft wurden, wie es z.B. Willy Brandt oft passierte.
In meiner Familie war es gespalten, weil Nazi-Deutschland eben auch Länder
mit Verwandten überfiel. Meine holländische und polnische Verwandtschaft
konnte die deutsche Begeisterung über "Blitzsiege" nicht teilen. Und
meinem väterlichen Familienteil mit solchen Verwandten fanden das dann auch
sehr, sehr falsch, während meine mütterliche Familie ohne solche Verwandten
ein ganzes Stück dämlicher war, die Siege zu feiern, bevor die Retourkutsche
Deutschland ereilte und ihnen große Häuser zerstörte - in Kiel und das U-Boot
456 im Meer versank, dessen leitender Ingenieur Vater meines 15 Jahre älteren
Bruders und erster Mann meiner Mutter war. Und er wusste, dass er nicht
wiederkommen würde - war nicht froh, aber wusste auch nicht zu entkommen - und
der Untergang ist als freiwillig dokumentiert, weil sich zumindest der
Kommandant Teichert den Angreifern nicht ergeben mochte und alle tot.
Teichert bekam dafür als einziger U-Boot-Kommandant posthum das "Eiserne
Kreuz" verliehen. Mag sein, dass in diesem Familienteil "Stolz"
den Schmerz etwas zu lindern half, aber so richtiger Stolz ist das nicht,
sondern eigentlich bloß täuschendes Trostpflaster, denn jedem mit etwas
Verstand hätte klar sein müssen, dass die NS-Ideologie Irrsinn ist und eben
auch dieser Krieg.
Der "Wiederaufbau"? Naja, das mit den fleißigen Trümmerfrauen ist
wirklich bloß Mythos, der allenfalls für Einfamilienhaussiedlungen stimmte,
während die Trümmer in den verwüsteten Großstädten auf Befehl der
Besatzungsmächte beräumt wurden, sonst gab es keine Essensmarken.
Und der anschließende Wiederaufbau, wie er dann durch Bauleute erfolgte, weil
ohne Ausbildung hält kein Gebäude, das höher als 20 Meter und nicht bloß
Schuttberg ist, war ebenfalls durch die Siegermächte angeschoben, keine
Ehrenamtlichkeit, sondern brachte die Deutschen massenhaft in Arbeit und
Brot.
Aber ja, da würde ich dann doch mal pauschaler sagen, dass man stolz drauf sein
kann, denn wie zerstört unsere waren, muss es für viele unvorstellbar gewesen
sein, dass sich dort wieder leben lässt, Und doch dürfen darauf aus besagten
Gründen eben auch die Siegermächte stolz sein, denn hatten es in der Hand, uns
Deutschen eine weitere Chance zu gewähren. - Das wollten damals nicht
alle.
Und auch viele Deutsche, Juden und Nichtjuden, waren durch die völkischen Hetzer und Braven so schlimm verraten, dass sie es Deutschland nie verzeihen konnten, die Heuchelei nicht, das Schweigen nicht - und erst recht nicht die geistigen, geistlosen Reste, wie sie ein Gauland nun wieder ins Spiel bringt. - Ich bin froh, dass mein Vater Pegida, Höcke und Co. nicht mehr erleben musste, während es für mich eher Leichtigkeit ist, solchen Strolchen die Rote Karte zu zeigen. Und sie werden auch nicht durchkommen. Die Zeiten sind andere. Und Nationalismus ist blöder denn je. Zu oft waren"Vaterländer" nicht, was sie ihren "Söhnen" versprachen, weil nur schlechte Väter ihre Söhne gegen die Söhne anderer Väter in mörderische Duelle hetzen.