Zum Comeback von Lance Armstrong 13.1.2009
Lance Armstrong, der Mann, der denkt, der
Krebs gehört ihm, steht offenbar kurz vor seinem Comeback. Jüngst wurde er in
Australien gesichtet, wo er gemeinsam mit seinem Astana-Team das Training
aufnehmen will, um am Sonntag bei der 'Tour down under' im Wettkampf anzutreten.
In einem Alter, in dem Erik Zabel (auch schon recht spät) seine Karriere
beendet hat, kommt Armstrong also zurück - mit der Ankündigung im Gepäck,
dieses Jahr nicht nur die Tour de France fahren zu wollen, sondern auch gleich
noch den Giro und diverse andere Weltklasserennen.
Wie oft will der Mann den Krebs eigentlich noch besiegen, fragt man sich. Denn
unter diesem Gestirn steht sein Bemühen noch immer, glaubt man seiner
Selbstdarstellung: Mehr Aufmerksamkeit für den 'Kampf gegen Krebs' diktiert er
der Presse als Begründung für seinen erneuten Antritt in die Notizblöcke, was
soviel heißt wie mehr Publicity für seine Live-Strong-Stiftung. Symbolische
Auftritte also, Radsport als Charity-Veranstaltung? Wie sollte man das
kritisieren?
Krebs und Karriere sind bei Armstrong nicht zu trennen, sind komplementäre
Teile eines schon zu Lebzeiten gebildeten Mythos. Eine in den Strapazen der
Chemotherapie gestählte Willenskraft habe die Erfolge im Sport erst möglich
gemacht, so lautet die Botschaft: Man muss nur wollen, dann kann man es
schaffen. Diese Willenskraft steht als Alpha und Omega im Zentrum des Mythos
Armstrong und dieser Mythos hat ihn alle Angriffe unbeschadet überstehen
lassen. Man hat ihn immer als Solitär wahrgenommen, als einen der im Gegensatz
zu allen anderen schon nahe am Abgrund des Todes stand und aus dieser Erfahrung
alleine alle Energie zu ziehen fähig war.
Dieser Mythos ist aber letztlich nur die Tünche über einer anderen Wahrheit:
Das verbindende Element zwischen Talfahrt und Gipfelsturm hört nicht auf den
Namen Willenskraft, sondern liegt in der modernen Medizin begründet. Das geht
bis in die Identität der Substanzen, denn EPO wird nicht nur zur
Leistungssteigerung genutzt, sondern auch in der Onkologie zur
Schadensbegrenzung bei immer höher dosierten Chemotherapien.
Armstrongs Autobiographie 'Tour des Lebens' ist nicht ohne Wahrhaftigkeit.
Zwischen der kämpferischen Selbstversäulung, die dort betrieben wird, gibt es
immer wieder Passagen authentischer Erfahrung, die auch beschreiben, wie hohl
die Phrase vom 'Kampf gegen den Krebs' eigentlich ist. Denn die Stärksten und
Entschlossensten werden von ihren Metastasen aufgefressen während die
Jammerlappen dem Tode entkommen. So lautet eine jener Beobachtungen, die die
Rede vom 'Kampf gegen den Krebs' auf das beschränkt, was sie eigentlich nur
meinen kann: Die Therapie und ihre Folgen durchzustehen. Und dann auf das
Ergebnis zu warten.
Lance Armstrong hatte verdammtes Glück. Auf Fatalismus lässt sich aber keine
Karriere aufbauen. Deshalb muss er sich irgendwann entschlossen haben den Zufall
durch die Planung zu ersetzen, um dem ersten Triumph weitere folgen zu lassen -
und hier liegt dann trotz aller Kontinuität doch ein Bruch: Im Sport ist
Wirkung potenter pharmakologischer Substanzen berechenbar, beim Krebs ist sie es
kaum.
Armstrongs Gang aus der Onkologie zurück auf den Fahrradsattel bleibt ein
weiter Weg und nötigt trotz allem tiefen Respekt ab. Aber das Heldische daran
entrückt ihn nicht und bleibt menschlich-ambivalent im guten wie im schlechten
Sinne. Auch bin nicht sicher, ob der Triumphalismus, der im Mythos Armstrong
steckt, der Krebsproblematik förderlich ist. Denn das Gewinnenkönnen ist
oftmals schlichte Lüge, der Glaube daran aber vielen Betroffenen unabdingbar.
martin >> Diskussion