zivile Konfliktbearbeitung

im Kontext der Friedensforschung: 

- diplomatische Mittel

- demokratische Mittel

- juristische Mittel


 

Rede von Staatsministerin Kerstin Müller zur Eröffnung der Veranstaltung "Frieden braucht eine Basis  jedes Projekt zählt" am 21. Mai 2003

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich freue mich, Sie hier in den Räumen der
baden-württembergischen Landesvertretung begrüßen zu dürfen.
Ein guter Ort, Ihnen, liebe Gäste, das Förderprogramm des
Auswärtigen Amtes zur Unterstützung internationaler Maßnahmen
der Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung
vorzustellen.

Über zivile Konfliktbearbeitung zu sprechen, ist heute
–unter dem noch frischen Eindruck des Irak-Krieges –
aktueller denn je. Denn die Bundesregierung tritt – nicht
nur im Falle des Irak – konsequent für friedliche Krisen-
und Konfliktlösungen ein. Der Einsatz militärischer Gewalt kann
immer nur letztes Mittel sein – wenn alle anderen
friedlichen Mittel ausgeschöpft sind. Im Falle des Irak gab es
eine friedliche Alternative – die Fortsetzung der Arbeit der
Waffeninspekteure.

Um so mehr muss es heute darum gehen, wie wir künftig solche
Fehlentwicklungen, wie wir eine militärische Eskalation von
Konflikten vermeiden können und was unsere Außenpolitik dazu
beitragen kann, um die von Kofi Annan geforderte "Kultur der
Prävention" ganz konkret umzusetzen. Und, meine Damen und
Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir dafür starke
multilaterale Strukturen brauchen.

Allein die Vereinten Nationen sind durch ihr internationales
Gewaltmonopol dazu legitimiert, über Fragen von Krieg und
Frieden und den internationalen Einsatz von militärischer Gewalt
zu entscheiden. Außerdem verfügt keine andere Organisation
über soviel know-how und Erfahrung bei der Konfliktverhütung,
der Friedenserhaltung und beim "nation building"
überall auf der Welt.

Sicher, die Vereinten Nationen müssen sich neuen
Herausforderungen stellen – wie etwa dem internationalen
Terrorismus.

Aber das kann nicht bedeuten, die VN einfach beiseite zu
schieben, wenn sie die Lösung für ein Problem nicht gleich
parat haben.

Vielmehr sollten die neuen Herausforderungen für uns ein
Ansporn sein, gemeinsam mit den Partnern in Europa und jenseits
des Atlantiks zu diskutieren, was wir verändern müssen in den
VN, wie wir sie weiterentwickeln müssen, damit sie ihren neuen
Aufgaben gerecht werden können.

Welche Rolle die VN in Zukunft bei internationalen Konflikten
spielen werden, entscheidet sich ein Stück weit auch in der
aktuellen Diskussion über ihre Rolle im Nachkriegs-Irak. Ob es
gelingt, in diesem Prozess die Integrität des Irak zu erhalten
und darüber hinaus die Region zu stabilisieren, ist angesichts
der vielfältigen Konfliktlinien – angefangen bei der
humanitären Versorgung über Minderheitsfragen bis hin zu der
Frage, wer die Übergangsregierung stellen soll – noch
völlig unklar. Die internationale Gemeinschaft muss sich diesen
Fragen stellen.

Wir jedenfalls werden uns weiterhin für eine Stabilisierung
der Lage einsetzen. Dabei sind wir überzeugt, dass eine zentrale
Rolle der VN Voraussetzung dafür ist, die Lebensverhältnisse im
Irak nachhaltig zu verbessern und dauerhaft für Sicherheit in
der Region zu sorgen. Deshalb sind die VN im Prozess des
Wiederaufbaus des Irak m.E. unverzichtbar. Eine erste wichtige
Lehre aus den jüngsten Entwicklungen besteht sicherlich darin,
die krisenpräventive Ausrichtung unserer Außenpolitik weiter zu
stärken.

Deshalb fördert das Auswärtige Amt internationale Maßnahmen
der Krisenprävention, Friedenserhaltung und
Konfliktbewältigung. Der Deutsche Bundestag hat seit dem Jahr
2000 für diese Zwecke zusätzliche Haushaltsmittel zur
Verfügung gestellt. Dies hat uns, dem Auswärtigen Amt eine neue
Dimension des Engagements ermöglicht, nämlich die direkte
Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen; dies sind zum
einen die zivilgesellschaftlichen Akteure in den Krisengebieten
selbst, aber auch das Institut für Auslandsbeziehungen als
Partner und Mittler des Auswärtigen Amtes. Mit der Einrichtung
des Projektbüros für zivile Konfliktbearbeitung, kurz zivik,
wurde zugleich ein wichtiges Stück Infrastruktur der zivilen
Krisenprävention geschaffen, ein Ziel, das schon in der
Koalitionsvereinbarung von 1998 verankert war. In diesen Rahmen
gehört auch die Gründung des Zentrums für internationale
Friedenseinsätze, kurz ZIF, im Jahr 2002, in dem
Zivilpersonal für internationale Friedenseinsätze rekrutiert
und auf den Einsatz in Krisengebieten vorbereitet wird.

Wir stellen Ihnen heute vier ermutigende Beispiele der
zivilgesellschaftlichen Konfliktbearbeitung vor, die wir aus 220
vom Auswärtigen Amt geförderten Projekten in 49 Ländern als
"good practices" ausgewählt haben. Sie
betreffen Konfliktzonen auf verschiedenen Kontinenten, und sie
machen zugleich die Prinzipien erfolgreicher Konfliktbearbeitung
exemplarisch deutlich:


    Zivile Konfliktbearbeitung sollte komplementär sein, und
        zwar zu internationalen und diplomatischen
        Friedensbemühungen. Beide Schienen sind aufeinander
        angewiesen. So ist der zivilgesellschaftliche Dialog
        zwischen Juden und Palästinensern unabdingbar, um die
        Friedensoption im Bewusstsein der Menschen in der Region
        zu verankern. Erst dadurch schafft man die Grundlage für
        einen Erfolg des diplomatischen Engagements des
        sogenannten Quartetts – also der Vereinten Nationen,
        der Europäischen Union, Russlands und der USA. Wir
        hoffen, dass die Konfliktparteien den Friedensfahrplan
        akzeptieren werden, und wir setzen darauf, dass diese
        sog. "roadmap" Schritt für Schritt umgesetzt
        wird. Selbst wenn das geschieht – wichtig und
        entscheidend bleibt die Versöhnung der Gesellschaft an
        der Basis– von Mensch zu Mensch – und dafür
        sind solche Projekte, die wie Givat Haviva
        Begegnungen zwischen jungen Palästinensern und Juden
        organisieren, von immenser Bedeutung!
         
    Konfliktbearbeitung muss außerdem nachhaltig sein, um
        ein Wiederaufflammen zu verhindern, denn leider sind auch
        die traumatischen Erfahrungen von Gewalt oft sehr
        nachhaltig. So leistet medico international mit
        dem Südafrika-Projekt einen Beitrag, persönliche
        Konflikterfahrungen aus der Zeit der Apartheid
        aufzuarbeiten und Überzeugungsarbeit für gewaltfreie
        Konfliktlösung zu leisten.
         
    Der Frieden kann nur durch multidimensionale
        Anstrengungen gewonnen werden, weil auch die
        Konfliktursachen multidimensional sind. Religiöse oder
        ethnische Trennlinien sind allein selten auslösende
        Faktoren, aber sie werden immer öfter
        instrumentalisiert, um machtpolitische oder
        wirtschaftliche Interessen im gesetzlosen Chaos eines
        Bürgerkrieges verfolgen zu können. Umgekehrt ist die
        Wiederherstellung eines sicheren Umfeldes und des
        öffentlichen Gewaltmonopols entscheidende Voraussetzung
        für Friedenskonsolidierung und Wiederaufbau. Deshalb
        beteiligen wir uns zum einen in Afghanistan an der
        VN-mandatierten internationalen Schutztruppe und haben
        auf Wunsch der Vereinten Nationen die Führung beim
        Aufbau einer demokratisch kontrollierten Polizei
        übernommen. Zum anderen fördern wir gleichzeitig
        Projekte zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen
        wie die Mediothek für Afghanistan.
         
    Schließlich: Konfliktlösung kann nur schwer von außen
        aufgezwungen werden, sondern sie braucht „local
        ownership". Deshalb fördert das Auswärtige Amt in
        Kolumbien mehrere Projekte, die - wie z.B. die Deutsche
        Welthungerhilfe - friedensbereite Akteure vor Ort
        ausfindig machen und unterstützen.


Meine Damen und Herren, zivile Konfliktbearbeitung bedeutet
eine oft mühsame Arbeit der kleinen Schritte, die selten mit
schnellen, medienwirksamen Erfolgen aufwarten kann.

Diese Arbeit braucht Menschen, die teilweise unter Gefahr und
mit großer Beharrlichkeit daran arbeiten, dem Frieden eine
Chance zu geben. Es hat sich gezeigt, dass es oft schwieriger
ist, Frieden zu schaffen und zu erhalten, als Kriege zu führen -
und oftmals ist dies für die Akteure nicht minder riskant.

Die heute vorgestellten Dialogprojekte veranschaulichen sehr
gut diese meist im Verborgenen stattfindende ganz, ganz wichtige
Arbeit.

Ziel der heutigen Veranstaltung soll es auch sein, diesen
Einsatz für den Frieden für eine breitere Öffentlichkeit
sichtbarer zu machen und ihm damit etwas von der Aufmerksamkeit
zu geben, die er verdient.

Ich danke allen, die sich in dieser Arbeit für die Menschen
engagieren – und allen, die an dem heutigen Abend mitgewirkt
haben, und wünsche Ihnen einen interessanten und inspirierenden
Abend.


weitere Informationen und Links unter:

http://www.auswaertiges-amt.de..id=16 

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