Anpassung an den "Zeitgeist"

Friedensratschlag kritisiert Kofi Annans Papier zur Reform der UNO

- Lob von der Bundesregierung
- Kritik von der Friedensbewegung
- UN soll Präventivkriegsdoktrin übernehmen
- Verzicht auf UN-Kommando bei Militäreinsätzen
- Von "Staatsterrorismus" soll nicht die Rede sein

Presseerklärung

Kassel, 22. März 2005

Spalte für Inidia-Kommentare
und Diskussionen
Zu dem Reformpapier des UN-Generalsekretärs Kofi Annan "In größerer Freiheit..." stellt der Bundesausschuss Friedensratschlag fest: 

Während die ersten Reaktionen aus Berlin und Paris, aus Washington und London viel Lob über den UN-Generalsekretär ausgeschüttet haben, überwiegt auf Seiten der Friedensbewegung die Kritik. 

Ja. Und selbst noch die Lobhudelei seitens der aufgezählten Staaten stellte sich als geheuchelt heraus, denn die wenigen positiven Ansätze des Reformpapiers wurden durch eine Fülle von Änderungs- und "Ergänzungsanträgen" zunichte gemacht. 
Insbesondere der Terrorismus wurde zur Blockade von UNO-Reformen instrumentalisiert. >> ausführlicher
Zwar werde nicht verkannt, dass Entscheidungs- und Vollzugsstrukturen der Vereinten Nationen stark reformbedürftig sind. Insofern verdient jeder Versuch, die Debatte über Auftrag und Gestalt der UNO neu zu beleben, Anerkennung.  Ja.
Der reduzierte Blick auf Charakter und Zusammensetzung des Sicherheitsrats reicht aber bei weitem nicht aus, solche Probleme einer Lösung zuzuführen. Nein, denn der "reduzierte Blick auf den Sicherheitsrat" wäre sogar richtig, denn die Privilegien der atomaren Veto-Mächte sind das Haupthindernis für die erforderlichen Reformen. 
Die Bundesregierung hat es in den letzten Monaten trefflich verstanden, die UN-Reformdiskussion auf die Frage zu reduzieren, ob Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhält oder nicht. Diese Engführung der Diskussion weist in eine völlig falsche Richtung. Was das oberste Entscheidungsorgan der Vereinten Nationen braucht, ist keine Stärkung der Positionen der reichen Industriestaaten, sondern eine angemessenere Vertretung von Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Deren Schicksal - das hat die Milleniums-Erklärung von 2000 deutlich gemacht - steht vor allem auf dem Spiel. Bitte zweierlei!!! und etwas deutlicher, denn es steht im Zusammenhang:

1. "Es braucht eine angemessenere Vertretung von Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas." = Richtig. 

2. "Es braucht die Abschaffung von Privilegien der  atomaren Veto-Mächte im Weltsicherheitsrat und gegenüber der UNO-Vollversammlung." = fehlt!

Völlig ausgeklammert bleiben sowohl in der deutschen Diskussion als auch im Reform-Papier von Kofi Annan Fragen, die sich mit der bislang fehlenden Gewaltenteilung im System der Vereinten Nationen befassen. Gerade wenn die UNO eine größere Rolle bei internationalen Militäreinsätzen (Blauhelmeinsätzen) spielen soll, müsste die Vereinbarkeit solcher Einsätze mit dem geltenden Völkerrecht und der UN-Charta von einer unabhängigen richterlichen Instanz überprüft werden können. Ja. 

Internationales Handeln muss sich am Recht orientieren, also gerichtlich nachprüfbar sein, wie es für innerstaatliches Handeln längst und in allen halbwegs vernünftigen Staaten mit dem Gewaltenteilungsprinzip unumstritten ist.

Helles Entsetzen lösten beim Bundesausschuss Friedensratschlag die Passagen in dem Reformpapier aus, in denen Kofi Annan die Möglichkeit in Betracht zieht, Präventivkriege im Namen der Vereinten Nationen zu führen. 

In Ziffer 125 heißt es dazu: Der Sicherheitsrat habe die "volle Autorität für die Anwendung militärischer Gewalt, auch präventiv". Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, fielen die Vereinten Nationen nicht nur hinter die eigene UN-Charta, sondern auch hinter den Kellogg-Pakt aus dem Jahr 1928 zurück, in dem die Vertragsstaaten erstmals den Krieg "geächtet" hatten. Dieses moderne Verständnis von einem umfassenden Gewaltverbot hat schließlich in die UN-Charta von 1945 Eingang gefunden (Art. 2 Abs. 4) und bildet eines ihrer wichtigsten Prinzipien. 

Ja/Nein

Denn wenn beispielsweise die Atomwaffen international geächtet wären (=also auch für die USA, Russland, Frankreich usw.), dann müssten die Vereinten Nationen sehr wohl die Durchsetzungsmacht gegen Staaten haben dürfen, die sich an solche Verbote nicht halten.

Und bitte nachschauen, denn der Art.2 Abs.4 VN-Charta bezieht sich auf das Gewaltverbot nicht der Vereinten Nationen, sondern der Nationalstaaten gegeneinander.

Hingegen schreibt Art.2 Abs.5 VN-Charta sogar folgendes: 
Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen den die Organisation Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand. 

Zu Recht sind die USA weltweit kritisiert worden (auch von Kofi Annan selbst), weil sie sich in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002 den Präventivkrieg als Option vorbehalten haben.  Richtig, denn solches Recht kann es nicht geben: 

Niemals kann die "Nationale Sicherheitsstrategie" eines Staates über die eigenen Staatsgrenzen hinaus legitimiert sein >> Ein US-Präsident kann nur dann außerhalb der USA Rechte für sich proklamieren, wenn er dazu auch global ermächtigt wäre. Das war er nicht - und darauf nahm die völkerrechtliche Kritik Bezug.

Aber der Legitimationsrahmen der Vereinten Nationen geht über denjenigen der USA hinaus. Und darum verweigerten die Vereinten Nationen den USA zurecht Gewaltmittel, denn die von Bush, Blair & Kumpanen behaupteten Massenvernichtungswaffen waren durch die UNO-Waffensuch-Beauftragten nicht bestätigt. 

Sollten die Vereinten Nationen dieses antiquierte "Recht des Stärkeren" nun auch für sich beanspruchen, gibt es keine Begründung mehr, es einzelnen Staaten vorzuenthalten. Falsch! Denn es sind zwei Problemebenen, die zwar Gemeinsames haben, aber auch Unterschiedliches: 

1. Das "Recht des Stärkeren" sollte abgelehnt sein zugunsten des "Rechts des Redlichen".

2. Freilich dürfte die UNO ein Recht niemals "einzelnen Staaten vorenthalten", denn das Weltrecht sollte entweder für alle Staaten oder für keinen Staat Geltung beanspruchen.

Aber wenn die Vereinten Nationen demokratisch konsequent im Sinne einer Weltregierung errichtet wären/würden, so dürfte sie sehr wohl "für sich beanspruchen", was sie den Nationalstaaten an Konkurrenzpotential gegeneinander und gegen die Vereinten Nationen "vorenthält".

Kofi Annan schlägt vor, den Artikel aus der UN-Charta, der die Einrichtung eines "Generalstabsausschusses" vorsieht (Art. 47), ersatzlos zu streichen. Das ist eine Kapitulation vor der Arroganz der großen Militärmächte, insbesondere der USA, die sich bisher stets geweigert haben, sich bei UN-Militäreinsätzen einem UN-Kommando zu unterwerfen. Wenn in der 60-jährigen Geschichte der "Generalstabsausschuss" nie installiert wurde, spricht das nicht gegen ihn, sondern gegen die Staaten, die zwar die UN in Anspruch nehmen, dafür aber keine Kompetenzen an sie abtreten wollen. Absolut zutreffende Kritik.
Ärgerlich ist schließlich die Einseitigkeit der Argumentation Kofi Annans im Kapitel über den Terrorismus. So sehr ihm darin zuzustimmen ist, dass es einer allgemein anerkannten und verbindlichen Definition von "Terrorismus" bedarf, so wenig kann ihm gefolgt werden, wenn er den Terrorismus auf nicht-staatliche Akteure eingrenzt.  Unsere Definitionsversuche finden sich 
unter >> Terrorismusdefinition 
In Ziff. 91 heißt es ohne jede weitere Begründung: "Es ist an der Zeit, die Debatten über den sogenannten 'Staatsterrorismus' einmal auszuklammern." Warum? Weil es ihn nicht gibt? Oder weil es nicht opportun ist, darüber zu sprechen?  Diesem Stichwort sollten wir Zeit widmen
>> Staatsterrorismus
Oder weil bestimmte Regierungen regelmäßig zusammenzucken, wenn die Rede auf den Staatsterrorismus kommt?  Das dürfte der Hauptgrund sein.
Wer über den Terrorismus nicht-staatlicher krimineller Banden spricht, darf über den Terrorismus, der im Namen von Regierungen ausgeübt wird, nicht schweigen. Da es immerhin reichlich Fälle gibt, in denen sich Terroristen zu unrecht aus bloß eingebildetem  Staatsterrorismus begründen, darf schon mal vom nichtstaatlichen Terrorismus exklusiv die Rede sein.  

Der Bundesausschuss Friedensratschlag hofft, dass über dass vorliegende Papier des UN-Generalsekretärs eine lebhafte öffentliche Debatte entsteht. 

Solche Debatte blieb aus, weil sich die politischen Parteien nur Themen zuwenden, aus denen sie parteipolitischen Vorteil ziehen können. 

Solange das so ist, stehen Friedensforschung und  Friedensbewegung recht allein auf der Flur. 

Das Völkerrecht, die UN-Charta und die Vereinten Nationen insgesamt dürfen dabei nicht dem von der US-Administration inspirierten weltpolitischen "Zeitgeist" geopfert werden.  Ja. Auch der Weltsicherheitsrat verstößt gegen die UNO-Charta, wenn die Veto-Mächte ihre Privilegien missbrauchen, indem sie beispielsweise Resolutionen gegen sich selbst blockieren, als seien sie unfehlbar.

Das Veto-Recht müsste eigentlich weg, aber wenn es noch bleibt, so sollten wenigstens "moralische Verurteilungen" möglich sein, so dass die Veto-Mächte nur noch Durchsetzung blockieren können. 
Wer heute das Gewaltverbot in Frage stellt, darf sich nicht wundern, wenn die Welt noch weiter aus den Fugen gerät. Bitte unterscheiden! 

Das Gewaltverbot der UNO-Charta gilt für die Nationalstaaten und deren Militärbündnisse, aber nicht für die UNO, für die sie doch gerade das GEWALTMONOPOL statuiert.

Wäre die UNO dem Gewaltverbot unterworfen, so wäre das Völkerrecht nicht durchsetzbar.

Also müsste der Satz in der Presseerklärung lauten: "Wer das Gewaltmonopol der UNO bestreitet, indem er das Gewaltverbot für die Nationalstaaten in Frage stellt, darf sich nicht wundern, wenn die Welt noch weiter aus den Fugen gerät."

-sven- 

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Bei Rückfragen: Tel. 0561/804-2314

>> DISKUSSION <<

 

Friedensforschung  Dialog-Lexikon

  Atomwaffentest.de testet Politiker