Verfassungsbeschwerde
des ehemaligen
brandenburgischen Ministerpräsidenten gegen
Bezeichnung als Stasi-Mitarbeiter erfolgreich
Die Verfassungsbeschwerde des vormaligen Konsistorialpräsidenten
der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und ehemaligen
Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, der von einem
CDU-Politiker zukünftig die Unterlassung der Behauptung
verlangte, er sei als Stasi-Mitarbeiter tätig gewesen, war
erfolgreich.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hob das –
klageabweisende – Urteil des Bundesgerichtshofs auf, weil es
den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht
verletze.
Die dem Beschwerdeführer nachteilige Äußerung sei nicht
durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt.
Die Sache wurde an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer unterhielt in seiner Eigenschaft als
Vertreter der Kirche von 1969 bis 1989 Kontakte zum
Ministerium für Staatssicherheit.
Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung über die Fusion der Länder
Berlin und Brandenburg äußerte der seinerzeitige
stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner
Abgeordnetenhaus in einer Fernsehsendung, der Beschwerdeführer
habe als „IM-Sekretär“ über 20 Jahre im Dienste der
Staatssicherheit gestanden.
Die Klage des Beschwerdeführers gegen den CDU-Politiker auf
zukünftige Unterlassung dieser Äußerungen wurde in letzter
Instanz vom Bundesgerichtshof abgewiesen.
Dabei ist das Gericht von einem mehrdeutigen Inhalt der Äußerung
ausgegangen. Der Hinweis auf eine Tätigkeit „im Dienst“
des Staatssicherheitsdienstes schließe nicht zwingend die
Behauptung ein, der Beschwerdeführer habe auf Grund einer
Verpflichtungserklärung im Auftrag des
Staatssicherheitsdienstes gearbeitet. Die Äußerung könne
vielmehr auch so verstanden werden, dass der Beschwerdeführer
dem Staatssicherheitsdienst Dienste geleistet habe, in dem er
diesem im Rahmen seiner zu ihm bestehenden Kontakte
Informationen geliefert habe.
Die erforderliche Güterabwägung ergebe, dass das Interesse
an der Äußerung überwiege, zumal sich der Beschwerdeführer
aus eigenem Entschluss ins Rampenlicht einer öffentlichen
Diskussion gestellt habe.
Die gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs gerichtete
Verfassungsbeschwerde war erfolgreich.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen
zu Grunde:
1. Der Bundesgerichtshof hat seiner Entscheidung die vom
Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung von gerichtlich
verhängten straf- und zivilrechtlichen Sanktionen wegen in
der Vergangenheit erfolgter mehrdeutiger Meinungsäußerungen
entwickelten Maßstäbe zu Grunde gelegt, ohne zu berücksichtigen,
dass sie auf Ansprüche auf Unterlassung zukünftiger Äußerungen
nicht in gleicher Weise anwendbar sind.
Das Bundesverfassungsgericht geht bei der Überprüfung von
straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen wegen in der
Vergangenheit erfolgter Meinungsäußerungen von dem Grundsatz
aus, dass die Meinungsfreiheit verletzt wird, wenn ein Gericht
bei mehrdeutigen Äußerungen die zu einer Verurteilung führende
Bedeutung zu Grunde legt, ohne vorher mit schlüssigen Gründen
Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht
zu rechtfertigen vermögen.
Lassen Formulierungen oder die Umstände der Äußerung eine
nicht das Persönlichkeitsrecht verletzende Deutung zu, so
verstößt eine straf- oder zivilrechtliche Sanktion gegen
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (Meinungsfreiheit).
Müsste der Äußernde befürchten, wegen einer Deutung, die
den gemeinten Sinn verfehlt, mit staatlichen Sanktionen belegt
zu werden, würden über die Beeinträchtigung der
individuellen Meinungsfreiheit hinaus negative Auswirkungen
auf die generelle Ausübung des Grundrechts der
Meinungsfreiheit eintreten.
Ein gleicher Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung
und die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses
besteht indessen nicht bei gerichtlichen Entscheidungen über
die Unterlassung zukünftiger Äußerungen.
Hier ist zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit
hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit
zugleich klar zu stellen, welcher Äußerungsinhalt der
rechtlichen Prüfung zu Grunde zu legen ist. Verletzt eine
mehrdeutige Meinungsäußerung das Persönlichkeitsrecht eines
anderen, scheidet daher ein Anspruch auf zukünftige
Unterlassung nicht allein deshalb aus, weil die Äußerung
auch eine Deutungsvariante zulässt, die zu keiner oder nur
einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führt.
Dem hat der Bundesgerichtshof nicht ausreichend Rechnung
getragen. Er hätte seiner Prüfung die das Persönlichkeitsrecht
stärker verletzende Deutungsvariante zu Grunde legen müssen.
2. Auch die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Abwägung
widerspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Die Aussage, der Beschwerdeführer habe als „IM-Sekretär“
im Dienste des Staatssicherheitsdienstes gestanden ist – wie
auch der Bundesgerichthof feststellt – eine schwerwiegende
Persönlichkeitsverletzung.
Bei der Verbreitung von Tatsachenbehauptungen, deren
Wahrheitsgehalt nicht endgültig festgestellt werden kann,
kann zwar auch eine möglicherweise unwahre Behauptung nicht
untersagt werden, soweit der Äußernde vor der Aufstellung
und Verbreitung seiner Behauptung hinreichend sorgfältige
Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt hat.
Liegt ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
vor, sind aber hohe Anforderungen an die Erfüllung der
Sorgfaltspflicht zu stellen.
Diesen Anforderungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
ist der Bundesgerichtshof bei der Bemessung des Umfangs der
Wahrheits- und Sorgfaltspflicht nicht gerecht geworden.
Die Art der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Kontakt mit
dem Staatssicherheitsdienst war selbst für die vom
Bundesgerichtshof gefundene weniger eingriffsintensive
Deutungsvariante streitig.
Die auch von öffentlichen Stellen verbreiteten Aussagen
hierzu waren ebenso wie die Medienberichterstattung
kontrovers.
Von dem Äußernden ist daher im Interesse des Persönlichkeitsschutzes
des Betroffenen zu verlangen, dass er dann, wenn er sich eine
bestimmte, das Persönlichkeitsrecht verletzende Sicht auf
bekannte Tatsachen zu eigen macht, zum Ausdruck bringt, dass
diese Sicht umstritten und der Sachverhalt nicht wirklich
aufgeklärt ist.
Es führt nicht zu einer Überspannung der Wahrheitspflicht,
wenn der Äußernde bei einer künftigen Meinungsäußerung
offen legen muss, dass eine gesicherte Tatsachengrundlage für
die von ihm aufgestellte Tatsachenbehauptung fehlt. |