Olympische Spiele 2008 im "Reich der Mittel"
Diesmal finden die Olympischen Spiele in jenem Land statt, in dem man anabole
Steroide und Erythropoietin von halbstaatlichen Pharmakonzernen problemlos im
Fabrik-Direktvertrieb erwerben kann - so war es gestern abend in einem
investigativen Format des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sehen. Die
staatlichen Bemühungen, die nationale Schande von reihenweise positiven Tests
chinesischer Sportler auf jeden Fall zu vermeiden, scheinen zumindest auf der
institutionellen Produktionsebene noch keine Früchte getragen zu haben.
Im Jahre 2008 ist der Gesamtkomplex Sport mit der Dopingproblematik so stark
belastet wie nie zuvor. Zweifel und Skepsis werden bei jeder einzelnen
sportlichen Glanzleistung immer mit im Spiel sein, und die Frage der
vermeintlichen Sauberkeit bei den Spielen im "Reich der Mittel" wird
einen Großteil der Berichterstattung einnehmen. Dabei ist es zugleich
unwahrscheinlich, dass es zu einem Paradigmenwechsel kommen wird. Bei der
Betrachtung des Radsportes erstaunt es ja am meisten, dass dieses totalversuchte
Segment sich noch nicht restlos selbst vergiftet hat. Als öffentlich
kommuniziertes Ereignis, als sportlich-industrieller Interessenverbund von
Quoten- und Werbewirtschaft funktioniert es nach wie vor hervorragend -
vielleicht weil der durchschnittliche Zuschauer die Thematik mit viel weniger
Verve angeht als der investigative Journalist. Oder weil er längst ein
ironisches Verhältnis zum Gegenstand entwickelt hat, denn das lotteriehafte Auf
und Ab der Tour de France - heute im gelben Trikot und morgen schon am Pranger -
hat ja auch einen ganz eigenen Unterhaltungswert.
Ist Doping überhaupt noch Betrug? Welcher Wert wird denn beschädigt, wenn der
Zuschauer sich gar nicht betrogen fühlt, weil er sowieso davon ausgeht, dass
unlautere Mittel in jedem Falle im Spiel sind? Es gibt ein ernsthaftes
Nachdenken über den Sport, seine Rolle in der Gesellschaft, seine Zukunft in
Zeiten der bio- und gentechnischen Optimierbarkeit des Menschenmaterials
allenfalls an der Peripherie. Die zentralen Gestalten und Funktionäre, schon
gar nicht die korrupte Gerontokratie des IOC, sind zu solchen Überlegungen - es
verwundert nicht wirklich - kaum in der Lage.
-martin- 20080806 >> Diskussionen.de
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