Niekisch
Verfasst am: Fr Okt 21, 2005 5:55 pm Titel: Neurechte Donquichotterien | |||
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Hallo Beppo, um noch einmal den Versuch zu starten, den Ort transparenter zu machen, von dem aus ich schreibe: Er ist mitnichten totalitarismustheoretisch. Totalitarismustheorie ist zunächst einmal Systemvergleich. Aber darum kann es ja noch gar nicht gehen, wenn der Gegenstand, der zur Debatte steht, seinen Horizont findet in einem Milieu der Kreise und Zirkel, deren intellektuelles Profil kaum abbildbar ist auf die ideologische Architektur konsolidierter Systeme. So weit, so gut, aber:
Dieses Pferd muss man anders herum aufzäumen: Wer alle Opfer des Faschismus für belastbare Zeugen einer ganz anderen, gewaltfernen und alternativen politischen Perspektive hält, sollte sich fragen, wie weit es mit seinem analytischen Verstand her ist. Denn: Der NS war nichts weniger als reine weltanschauliche Lehre - er war charismatische Herrschaft und Polytechnik der Machtentfaltung. Er war die realpolitische Metapraxis jener extremistischen Subkultur aus Nationalbolschewismus, Tat-Kreis, Konservativer Revolution und wie sie alle hießen. Die ideologischen Laubsägearbeiten, die hier in informellen Kreisen kreiert wurden, haben Hitler längst nicht mehr interessiert, und der Erfolg seiner Bewegung verdankte sich nicht der Durchschlagskraft einer Strömung, sondern der Integration vieler. Das Verhängnis des NS, so könnte man es auf den Punkt bringen, nahm seinen Ausgangspunkt nicht in der Durchsetzung einer, nämlich der falschen, Ideologie, sondern im Ideologismus und Utopismus der Moderne selbst, will heißen: In der messianischen, auf Erlösung und fundamentale Erneuerung der Gegenwart gerichteten Stoßrichtung, die all jenen Zirkeln, Strömungen, Gruppen und Grüppchen der 20er und 30er Jahre gemeinsam war, egal, ob sie nun im einzelnen auf den Namen Nationalbolschewismus, Ring-Bewegung, Jungkonservatismus oder Konservative Revolution hören. Alle wollten sie alles, nur keine pluralistische und demokratische Gegenwart nach dem Modell westlicher Zivilisation. Dass Manche später dafür ins KZ gegangen sind mag tragisch sein, macht sie aber nicht zu Zeugen einer historischen Alternative, denn an der Zerstörung der Demokratie hat auch ein Ernst Niekisch nach Kräften mitgestrickt. Aus diesen Gründen halte ich es für vergebene Liebesmüh', in den Annalen neurechter Subkultur der Weimarer Republik zu gründeln, denn kein Blitzgewitter wird aus dieser ideologischen Ursuppe jemals eine Evolution neuen politischen Lebens in Gang setzen können. Wissenschaftlich mag diese Subkultur interessant sein - und Vieles ist noch unerschlossen - in die politische Gegenwart entführt, ergibt sich aber nicht mehr als ein willkürliches Theoriesampling rechtsextremistischer Provenienz, die Suche nach historisch angeblich unbelasteten Kronzeugen des "Nationalen" und die Konstruktion von nicht kontaminierten Kontinuitäten. In dieser Intention wird dann seitenlang bemühte Begriffsarbeit zelebriert, ganz im Stile einer maoistischen Sekte der 70er Jahre. Hochkonzentriert hockt man vor dem Haufen verrotteter ideologischer Bausteine und grübelt, wie man das Gebäude noch mal ganz anders, noch mal ganz neu aufbauen könnte. Der geneigte Betrachter gewinnt den Eindruck, hier tritt eine Art weltanschauungsgeschichtlicher Trachtenverein auf, dessen museale Pedanterie bis hinein in die Übernahme zeitgenössischer, ungewollt komischer Diktion reicht ("Hinein in den xyz-Kreis!!!"). Insofern erinnert mich die Geschichte vom Kameraden, der auf einmal den Kommunismus entdeckte, an den Witz vom Bauarbeiter, der vom Gerüst fiel, aber Glück hatte, weil er mit dem Auge an einem Nagel hängenblieb. In der Wiederholung der Geschichte wird die Tragödie zur Farce: Solches möchte man Leuten erneut ins Stammbuch schreiben, die mit einem Theoriebesteck, das Klassenkämpfe als Motor der Historie und Völker als natürliche Geschichtssubjekte beschreibt, ratlos vor einer Wirklichkeit stehen, in der die großen Erzählungen längst an ihr Ende gekommen sind. Grüße von martin |
Verfasst am: Di Okt 25, 2005 1:46 pm Titel: Neurechte Donquichotterien | |||||
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Hallo Beppo, mit Verlaub: Es drängt sich der Eindruck auf, dass es dir kaum gelingt, aus den Schematismen überkommenen ideologischen Lagerdenkens auch nur an einer Stelle auszubrechen. Warum sollte man Theoretikern wie Paetel und Niekisch (um nun mal bei konkreten Beispielen zu bleiben) die als Auszeichnung gemeinte Charakterisierung als "Antifaschisten" zuerkennen? Dass sie sich in Opposition zum NS-System befanden, wird beim Blick in ihre Schriften sofort als kontingente Äußerlichkeit augenfällig: Paetels revolutionärer Nationalismus gehört ebenso wie die von Niekisch ventilierte totalitäre, staatszentralistische, zeitweise technikfeindliche, dafür völkisch-nationalistische Ideenwelt zum rechtstotalitären Denkuniversum des Antimodernismus - Positionen, an die der NS in großen Teilen nahtlos anschließen konnte. Es mutet einigermaßen absurd an, aus dem Ensemble neurechter Subkultur der Weimarer Republik willkürlich einzelne Theoretiker herauszufriemeln, um ihnen ex post irgendwelche Schilder umzuhängen, die dann eine eindeutige ideologische Verortbarkeit suggerieren sollen. Absurd, weil das, was lange Zeit viel zu pauschal als 'Konservative Revolution' diskutiert wurde, in alle nur denkbaren, unendlich fragmentierten und widersprüchlichen Einzelpositionen und Entwicklungen zerfällt, die im Grunde auf keinen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Als affirmative Bezugspunkte taugen sie kaum, denn in der Retrospektive erscheinen ihre weltanschaulichen Grenzgänge lediglich als leichtfertiges und verantwortungloses Spiel einer spätbürgerlichen Bohemekultur mit gewaltnahen und apokalyptischen Neuordnungsutopien - aus denen der NS dann Teile seiner historischen Legitimation abgeleitet hat. Und gerade Niekisch mit der von ihm produzierten Melange hoffnungslos überspannter Ideen zeugt davon, wie unsinnig das Ansinnen ist, in diesem Feld klare ideologische Grenzen einziehen zu wollen. Das ist jedem klar, der nicht nur Niekischs Biographie, sondern auch seine Texte kennt. Der Nachvollzug zeitgenössischer ideologischer Selbstinszenierung hat in der Gegenwart alle Erklärungskraft verloren. Das gilt auch noch für jenes Glaubensbekenntnis einer sozialistischen Systemgeschichtswissenschaft, nach dem der Faschismus die letzte Ausformung des Monopolkapitalismus zu sein hat: Geschichtsphilosophie jenseits aller historischen Evidenz.
Weder noch. Ich plädiere lediglich dafür - zum wiederholten male sei es gesagt - hinter die Fassade ideologischer Dualismen zu blicken, um zu erkennen, wie kontingent und wenig tragfähig jene Oszillationen nach links in den apokalyptischen Visionen jener in Frage stehenden Theoretiker im Grunde waren. Und was den zweiten Punkt angeht: Diesen Zusammenhang leugne ich mitnichten. Ich widerspreche lediglich einer viel zu kurz gegriffenen Steigbügelhalter-Theorie. Die Erosion des bürgerlichen Lagers Anfang der 30er Jahre war aber nur das letzte Kapitel eines nationalistischen Radikalisierungsprozesses, der bereits im Spätwilhelminismus einsetzte, Teil eines "zweiten Dreißigjährigen Krieges" seit 1914, wie Wehler es erst kürzlich formulierte, in dem die bürgerliche Mitte letztlich der totalitären Versuchung erlag. Es ist interessant, dass Rechtsextremisten neuerdings antikapitalistische, sozialistische Geschichtsschreibung wieder ausgraben, um das historisch verhängnisvolle Prinzip des Nationalismus dadurch aus seiner ursächlichen Verstrickung in den NS herauszulösen. Interessant, aber ebensowenig überzeugend wie leicht durchschaubar. Wenig überzeugend allein schon deshalb, weil damit alle sozialhistorischen und sozialempirischen Defizite eines Begriffs vom "Bürgertum" mitübernommen werden, der so, wie du ihn benutzt, nicht mehr ist als eine überkommene ideologische Kampfmetapher, leerer Platzhalter im Weltbild ohne Pendant in Geschichte oder Gegenwart.
Gerade dieser Eindruck der Durchsichtigkeit sollte dich skeptisch machen. Denn Extremismus ist vielleicht weniger inhaltlich bestimmt als vielmehr als eine Form der Denkens, die den illusionären Eindruck erweckt, die Komplexität der Gegenwart sei noch von einem einzigen archimedischen Punkt aus in ihrer Totalität zu entschlüsseln. Grüße von martin |
Verfasst am: Mi Okt 26, 2005 12:23 pm Titel: Neurechte Donquichotterien | |||
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Hallo Beppo.
Soso. Angesichts von Niekischs Wanderschaft durch die politischen Landschaften vom Räterevolutionär über die rechte SPD bis hin zum neuen Nationalismus wäre ich mit solchen Zuordnung eher vorsichtig. Niekischs Antimodernismus, seine fundamentalistische Zivilisationskritik und Absage an die industrielle Moderne, seine völkische und blutmythologische Raum- und Bodentheorie, seine imperialen Visionen einer osteuropäischen germanisch-slawischen Blockbildung, die er in Entscheidung ausrollt - all das sind doch recht merkwürdige Attitüden für jemanden, der "anerkannt im sozialistisch-antifaschistischen Spektrum" stehen soll. Der Eindruck verdichtet sich, dass ihr euch mit Niekisch verhoben habt. Es ist geradezu lächerlich, angesichts dieser aus jeder Verankerung gerissenen, weit ins Utopische und Irreale ausgreifenden Neuordnungspläne noch brav von einem "nationalen Bekenntnis" eines angeblichen Sozialisten zu sprechen. Solche Schablonen sind zu dünn, die Begriffe zu spirrelig, als dass sie nicht an den visionär-heilsgeschichtlichen Gebirgen sofort zerbrechen würden, die Niekisch aus der bis in die 30er Jahre angefallenen diskursiven Schlacke des deutschen Antimodernismus aufgehäuft hat. Aus der Perspektive der ideologischen Schützengräben, so zeigen deine Postings, lässt sich das Feld der Konservativen Revolution und anverwandter Gebiete nicht überschauen. Da nützt es auch nichts, wenn man die Seiten gewechselt hat oder glaubt, zwei Gänge verbunden zu haben. Dein Ansatz krankt daran, dass er als Teil eines Reha-Projektes für "Nationalismus" daherkommt, für jene Mentalität und politische Grundpolung, die bis in die Haarspitzen mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts verwoben ist: Nun soll das wahre Nationale gewissermaßen da versteckt werden, wo es keiner vermutet, nämlich bei der historischen Linken. Die richtige Linke war auf einmal national und richtige Nationale sind waschechte Linke. Und der Rest ist bürgerlicher Faschismus. Diese willkürliche Zurechtstutzung ist aber nicht mehr als das Produkt politischer Instrumentalisierung und tendenziöser Zweitverwertung - sie wird der Komplexität und auch der inneren Fragmentierung, Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit zeitgenössischer neurechter Publizistik an keiner Stelle gerecht. In Paetels männerbündischem Nationalbolschewistischem Manifest dürfen wir beispielsweise lesen: "Entweder das Volk bekommt freiwillig Lebensraum, oder es nimmt ihn sich. Auch eine sozialistische Nation wird hier entscheiden: Freund oder Feind. Am höchsten steht das Lebensrecht des eigenen Volkes." (S.33) Wenn das nun die "nationale Frage, die sich damals unzweifelhaft stellte" sein soll, so wäre zu erklären, wo denn hier die prinzipielle Differenz zu den Spielarten eines völkischen Nationalismus liegt, wie er allenthalben in der Neuen Rechten im Schwange war. Du wehrst dich gegen die "Verortung" deiner Lieblingsautoren "im rechten Spektrum" und übersiehst dabei, dass den Oszillationen nach links (die es im Übrigen bei einer ganzen Reihe von Autoren gegeben hat, bei Wilhelm Stapel, Ernst Jünger, Helmut Franke, Hans Zehrer und anderen) keine andere Intention zugrunde lag als die Suche nach neuen Integrations- und Inklusionsmechanismen für eine Nation, deren stratifikatorische Organisation und erbmonarchistische Herrschaftslegitimation 1918 endgültig untergegangen war. In dieses Vakuum stießen die neurechten Autoren vor, aber eben nicht im Sinne einer konsensfähigen politischen Theoriebildung, sondern in Form eines unendlich fragmentierten, binnendifferenzierten, oft fiebrig überspannten Manifestismus, dem lediglich gemeinsam war, dass Liberalismus und Parlamentarismus als dämonische Feindbilder imaginiert und Volk und Nation als letzte Werte und quasinatürliche historische Größen propagiert wurden. Ein solches Denken aber ist genuin rechtes Denken, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und wenn es auch mit dem klassischen Konservatismus nicht mehr viel gemein hat, so entwickelt es doch (oder gerade) unter den Bedinungen der Moderne mit ihren in allen Bereichen zunehmend unkontrollierbaren zentrifugalen Tendenzen einen unübersehbaren Hang zur Radikalität seiner Konzepte. Eine kategoriale Differenz zu dem Ideen-Patchwork, das dann realpolitisch seine nationalsozialistische Inkarnation erfahren hat, ist bei alldem schlechterdings nicht erkennbar. Weiter als bis zu meiner Eingangsthese haben deine Ausführungen bisher nicht geführt: Hier wird lediglich im Scherbenhaufen politischer Ideologien herumgerührt, das ein oder andere Bruchstück, so es denn zu passen scheint, aufgelesen, manches umetikettiert und was nicht passt, wird passend gemacht. Vor allem die Unwilligkeit (oder Unfähigkeit), die zur Diskussion stehenden Ideenwucherungen aus ihren kulturhistorischen Bedingungen und Kontexten heraus zu verstehen sowie der Mangel an methodischen Perspektiven und begrifflichen Instrumenten wirkt sich insgesamt verheerend aus. Übrig bleibt - ich muss mich leider wiederholen - unkritische Affirmation und gegenwartspolitische Instrumentalisierung im Dienste eines getunten, sozusagen tiefergelegten Rechtsextremismus. Grüße von martin |
Verfasst am: Do Okt 27, 2005 10:11 pm Titel: | |
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Hallo Beppo. Du wirfst mir vor, zu pauschalisieren. Dabei tue ich seit Tagen nichts anderes, als in epischer Breite auszuführen, wie vielfältig und facettenreich das Denken der Rechten immer gewesen ist. Und dass ich deinen Lieblingsautoren dabei keine ausreichende Würdigung hätte zukommen lassen, kann du auch nicht gerade behaupten. Die "Übergänge seien fließend" gewesen - wohl war. So fließend, dass ein eingefleischter und aktivistischer Nationalist wie Scheringer leicht die Seiten wechseln konnte. Eine Nähe der Extreme, die du nicht müde wirst als "totalitarismustheoretisch" zu charakterisieren - solange sie von anderen festgestellt wird. Nun denn: Welche weitergehenden Schlüsse lassen sich aus solchen biographischen Hakenschlägen ziehen? Solange keine, wie man gewillt ist, den Selbstinterpretationen der Protagonisten zu folgen. Denn das zeitgenössische Lossagen, Distanzieren, Mutieren und Neuentdecken erscheint mir wahrlich nicht besonders belastbar, wenn es darum geht, übergeordnete Zusammenhänge und Epochensignaturen zu begreifen. Im Grunde gilt für Scheringer dasselbe wie für die anderen: Politische Hasardeure und intellektuelle Extremisten, die willig aufsaugten und sich aneigneten, was auf dem Markt der extremen Ideologien zu haben war. Der Rest Schlagabtausch, tagespolitische Frontlinienziehung und Lagerdenken. Ein Reservoir einer nationalen Tradition jenseits des Nazismus findet man hier mit Sicherheit nicht. Lediglich eine unendlich zerklüftete Landschaft politischer Visionen und totalitärer Utopien, die mit der Welt der Nationalstaatsbewegung und ihrer großen liberalen Tradition längst nichts mehr zu tun hatte, auch wenn sie unter demselben Label firmierte. Du wehrst dich dagegen, als "national Bekennender" in die "rechte Ecke" gestellt zu werden. Das erscheint mir ungefähr so sinnvoll, als würde sich der Orchideenhändler dagegen wehren, in die Ecke der Floristen gestellt zu werden, denn die Nation ist nun mal das Zentrum rechten Denkens. Nur handelt es sich dabei eben nicht um eine zeitlose metaphysische Idee, sondern um ein historisches Konzept mit bestimmten historischen Kontexten, Funktionen, Interessen und sozialen Trägerschichten (etc.). Die Basis nationalstaatlichen und staatsnationalen Denkens aber hatte sich Anfang der 30er Jahre - ich schrieb es bereits, wiederhole es aber gerne - mit der Abwanderung der liberalen Wählerschaft und des Mittelstandes ins Lager der NSDAP endgültig erschöpft. Das Bündnis des deutschen Bürgertums mit Hitler beruhte mitnichten auf dem Gedanken der Sicherung des ökonomischen Systems, sondern auf seiner nationalistischen Radikalisierung und seiner mangelnden Widerstandsfähigkeit gegen die totalitäre Versuchung. Die These vom "Kapital", das Hitler an die Macht gebracht hätte, ist ein Mythos der sozialistischen Geschichtswissenschaft. Es liegt mir fern, "nationale Bekenntnisse" zu "diskreditieren" - nur halte ich sie für Phantasieprodukte ohne brauchbaren Bezugspunkt in der näheren Geschichte und der Gegenwart. Hitler hat diese Traditionslinie mit sich in den Abgrund der (Selbst-)Vernichtung gerissen und den Weg zurück in Trümmer gelegt. Ich sehe nicht, wo "nationales Denken" überlebt haben soll. In den Schriften exzentrischer und spinnerter Publizisten, deren Texte eher phantastischen Romanen gleichen? In den Biographien verlorener Wanderer zwischen den totalitären Fronten? Allein schon die Annahme, die historische Entwicklung hätte verhindert, dass dein Quartett randständiger Nachtgestalten "Niekisch, Paetel, Scheringer und Thälmann" der Welt ihre nationalbolschewistische Sendung überbringen konnte, zeugt von einem nicht unerheblichen Verlust an historischen Maßstäben und Relationen. Denn die zur Diskussion stehenden Konzepte waren ohne realpolitische Basis und im zeitgenössischen Kontext viel zu marginal als dass sich hier der Schatz einer verschütteten Tradition nationalen Denkens heben ließe. Grüße von martin |
Verfasst am: Mo Okt 31, 2005 2:03 am Titel: Nationale ohne Konturen | |||
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Hallo Beppo. Lager, Fronten, Einordnungsversuche und der Glaube an Eindeutigkeit. So wirst du deiner Gewährsmänner weder Herr noch ihnen gerecht werden können, denn du gruppierst das Feld lediglich um und schreibst ihm eine eindimensionale Klarheit ein, die ihre Evidenz lediglich aus der Totalisierung einer bestimmten, ökonomistisch inspirierten, linken Ideologiekritik zieht. Es gibt eine Passage aus dem Mann ohne Eigenschaften, die das Dilemma der Festlegung eindeutiger Schlachtordnungen in der politischen Ideenwelt des 20.Jh. konzis vor Augen führt. General Stumm von Bordwehr berichtet darin über das Scheitern seines Projektes einer vollständigen Bestandsaufnahme des europäischen Ideenvorrates:
Die Frage, die du nicht beantworten kannst, lautet: Warum gehst du mit deinem politischen Bauchladen mit Scheringer, Niekisch, Paetel hausieren? Warum nicht mit Jüngers Arbeitsstaat, mit Moeller van den Brucks technizistischem Modernismus, mit der neoaristokratischen Rassenhygiene des Nordischen Rings, mit dem ästhetischen Fundamentalismus Stefan Georges, mit dem Antirationalismus Ludwig Klages', mit Spenglers Zyklentheorie oder mit Mathilde Ludendorffs Erlösungsariosophie? Der Glaube, in diesem amorphen Feld der Ideenzirkulation irgendwelche tragfähigen Verstrebungen einziehen zu können, die ein klares Diesseits und Jenseits ordnen würden, beruht einzig und allein auf einer haarsträubenden Unkenntnis des intellektuellen Kontextes. Das "nationale Denken" zerfällt einem in den Händen - ganz egal ob man es als rechts oder links, als bürgerlich oder sozialistisch apostrophiert oder jenseits dieses Gegensatzes verortet. Deine Postings suggerieren, die "nationale Frage" sei ein klarer Sachverhalt, ein Gegenstand, dem gegenüber man sich nur zu verhalten habe - "pervertierend" wie die "bürgerlich-faschistische" eine Seite oder "fortschrittlich" und "patriotisch" wie die wahre linke andere Seite. Wo du dabei die Maßstäbe hernimmst, was hier Missbrauch und was Eigentlichkeit sei, bleibt dein Geheimnis. Bei alledem vergisst du, dass die Gestalt der Nation aus dem Schmelztiegel jeder Strömung in jeweils anderer Form entstiegen und der Glaube an eine Urform Illusion ist. Versuche einmal, das "nationale Denken", die "nationale Frage", das Denken der Nation nicht als Leerformel zu gebrauchen, sondern inhaltlich zu füllen - ich prophezeie dir, du schwebst sofort einsam und unrettbar verloren im unendlichen Universum politischer Theoriebildung, in dem es keine Fixsterne mehr gibt. Die oben angeführten Konzepte und viele, viele andere haben den Komplex des Nationalen so oft überfahren, amputiert und neu zusammengenäht, dass kaum mehr klare Umrisse erkennbar sind und jeder Versuch, sich auf eines von tausend Konzepten zu berufen, nichts anderes ist als eine Willkürentscheidung. Deinem Posting wäre noch an vielen Punkten zu widersprechen. Das Wichtigste in Kürze: - Die Rechte über die Präferenz für ein kapitalistisches Wirtschaftssystem zu definieren ist Unsinn, weil damit zahlreiche Anhänger von Kriegssozialismus, holistisch-organizistischen Wirtschaftsformen oder Einschränkungen der als "westlich-liberalindividualistisch" apostrophierten Systeme - Anhänger mit eindeutiger Verwurzelung im rechten Denksystemen - komplett aus dem Schema fallen würden. - Der Begriff der "Bourgeoisie" suggeriert eine Eindimensionalität von "Klasseninteressen", die soziologisch und sozialhistorisch Unsinn ist. - Unsinn ist auch die These der Kongruenz "bürgerlicher Klasseninteressen" mit dem NS. Dagegen spricht a) das neoaristokratische Profil der Präsidialkabinette, die Hitler ins Amt gehieft haben, b) die Tatsache, dass sich Investitionskapital nicht im Sinne der Anleger auszahlen muss und c) die Tatsache, dass der NS kein monolithischer Interessenblock war und sich trotz aller Profitmöglichkeiten für die Industrie in Konfliktsituationen ideologisch und nicht ökonomisch motivierte Konzepte durchgesetzt haben. - Du überschätzt die patriotische Rhetorik in linken Manifesten. Auch wenn Lenin himself vom Vaterlande fabuliert, heißt das noch lange nicht, dass hier auf nationale Traditionen anders als rein verbal Bezug genommen wird. - Die Vorstellung, das "eigentliche" nationale Interesse finde seinen "wahren" Fluchtpunkt in der Abschaffung kapitalistischer Verhältnisse, steht völlig quer zur Tradition der Nationalstaatsbildung, die gerade in Deutschland massiv von einem Liberalismus mit ebensolchen ökonomischen Interessen getragen wurde. Mit deiner Argumentation reißt du nationale Traditionen aus ihrer historischen Verwurzelung und nagelst sie willkürlich irgendwo anders fest. - Dein Kurzschluss von "bürgerlicher Ordnung" und Faschismus verkennt, dass jene liberale Tradition trotz aller Verstrickung in Imperialismus und Machtstaat einen historisch ungeheuer erfolgreichen Parlamentarismus als System des gesellschaftlichen Ausgleichs hervorgebracht hat. Dagegen schneidet die klassenlose Gesellschaft mit ihren Gewaltphantasien und Vernichtungsexzessen bekanntlich relativ schlecht ab. Diese Gewaltbereitschaft im Dienste säkularer Neuordnungskonzepte ist beispielsweise im Denken Niekischs schon angelegt. - Dein Konzept eines nationalen Sozialismus erkauft Homogenisierung nach innen mit Abgrenzung nach außen. Die Wurzel des historischen Übels lag aber im Konzept der Homogenität selbst - dein Entwurf vereinigt daher sozusagen Pest und Cholera: Vor dem Hintergrund realhistorischer Erfahrung handelt man sich damit nicht nur den Bürgerkrieg ein, sondern auch territorial unlösbare Nationalitätenkonflikte. Grüße von martin |
Verfasst am: Mo Okt 31, 2005 2:29 pm Titel: | |||||||||||||||||||
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Hallo Beppo.
Es mag sein, dass ihr wähnt, mit euren Publikationen bereits auf der Diskurshöhe eurer Vorbilder angekommen zu sein. Aber mit epigonalem Eifer, und sei er noch so groß, lässt sich nach über 70 Jahren keiner Theorie mehr Leben einhauchen. Im Gegenteil: Der Rückgriff darauf katapultiert in gänzlich andere Koordinaten, die affirmative Aneignung gescheiterter Ideologiekonzepte selbst ist es, die den Blick nicht nur auf die Gegenwart verstellt, sondern auch die Rezeption des historischen Diskursbestandes völlig deformiert. Das zeigt sich wieder überdeutlich in der Unfähigkeit, adäquat mit den Texten der Kulturgeschichte umzugehen. Wenn du deine eigene Position substantiieren und gegen konkurrierende Systeme absichern willst, solltest du lernen, mit dem zu haushalten, was wirklich dasteht und nicht nur versuchen, das Disparate mit der Fliegenklatsche kommunistischer Ideologiekritik und dem Vorwurf mangelhaften Klassenbewusstseins zu erledigen. Die Anwendung des Duals Kommunismus vs. Kapitalismus ist nichts anderes als die willkürliche Entscheidung für eine Schablonisierung, der es letztlich wurscht ist, womit sie es zu tun hat. So scharf diese Waffe im Kampf um ideologischen Bodengewinn auch sein mag, so stumpf ist sie im Bezug auf Hermeneutik und Analyse. Sie produziert Absurditäten und Lächerlichkeiten: Jünger und Moeller seien Exponenten "reaktionär-kleinbürgerlicher Denkweise", George und Wagner würden den "Kapitalismus neu legitimieren". Thesen, die an den in Frage stehenden Konzepten und Denkwelten wirklich komplett vorbeigehen. Damit würde ich mich nicht vor die Türe wagen - die Hosen rutschten runter und das Schwert der klassenbewussten Ideologiekritik könnte die Nacktheit dieses Bewusstseins und die Gewaltsamkeit, mit dem es sich die Welt zurichtet, kaum kaschieren. Es mag meine philologische Prägung sein, die meine Skepsis fördert, aber soll man Leuten politische Gestaltung überlassen, die aus dem Glauben heraus, den weltanschaulichen Generalsschlüssel zu besitzen, in der kulturellen Tradition herumwüten wie der Bauer mit der Machete im Maisfeld? Nenn mich Beckmesser, aber ich bleibe dabei: Ihr seid den Texten nicht gewachsen, die ihr euch auf die Fahnen geschrieben habt. Man kann die Diskurse der 20er Jahre nicht ordnen, indem man ein Sieb benutzt, das nur zwei Löcher hat oder indem man den Selbstbeschreibungen der Protagonisten naiven Glauben schenkt. Eure Methode heißt Willkür im Dienste der Konstruktion von Kontinuitäten, die zu Staub zerfallen, sobald man sie anbohrt.
Weil es, wie gesagt, lächerlich wirkt, wenn der Sozialist dabei die völkisch-germanomythischen Elemente übersieht, die bei Paetel und Niekisch zentral sind. Und weil die Bezugnahme auf Theoretiker, die eine gewaltsame völkische Lebensraumpolitik propagierten, ungünstig ist, wenn man kein Rechtsextremist sein will.
Ich erwarte deine Antwort mit Spannung.
Deine Gefühle in Ehren, aber selbst nach mehrmaliger Lektüre deines Postings bleibt es schleierhaft, was genau denn nun die "nationale Frage" sein soll. Deine Antworten bleiben an einer seichten wikipedia-Oberfläche, die sich keine Rechenschaft darüber abzulegen vermag, auf welche Wurzeln die Konzepte der Kulturnation oder der Nation als ethnische Abstammungsgemeinschaft zurückreichen. Wenn du bereit wärst, hier weiterzuforschen, würdest du die Büchse der Pandora öffnen: Denker der Staatsnation mit ihren Fusionierungen konservativ-legitimistischer Staatskonzept mit liberalen Vorstellungen, Denker der Volksnation mit sehr verschiedenen Konzepten der Ethnie von Kultur über Familie bis hin zur Rassenbiologie, individualistsche, holistische, territoriale und andere Ansätze. Vom Liberalismus bis zum NS sind die Versuche Legion, Volk und Nation irgendwie theoretisch in den Griff zu bekommen. Dazu kommt, dass es keine Theorie der Nation gibt, die ihre Vorstellung nicht mit Konzepten der inneren Ausgestaltung von politischer Herrschaft, Legitimation und Partizipation zusammengedacht hätte. Auch hier sucht man Antworten in deinen Postings vergeblich. Darüber täuschen auch die Phrasen von "innerer und äußerer Volkssouveränität" nicht hinweg, denn hinter der musealen Rhetorik vom 'Willen des werktätigen Volkes' gähnt der Abgrund von Konzeptionslosigkeit oder die phantastische Illusion, in "nationaler Politik" ließen sich gesellschaftliche Interessengegensätze einschmelzen.
Diese These wäre dann schon noch mit brauchbaren Argumenten zu untermauern. Ideologiekritische Schnittmusterbögen sind da zu wenig. Da ist die "bürgerliche Geschichtswissenschaft" doch ein gutes Stück weiter, aber alles, was dein selbstgeschweißtes stahlhartes ideologisches Gehäuse zu zerbrechen droht, gilt dir als "Konfusion im Kopfe".
Was die Maßstäbe für Missbrauch und Eigentlichkeit sein sollen, bleibt wieder unbeantwortet.
Diese Antwort besagt ungefähr: Sie haben Recht, weil ihre Analyse den Prämissen ihrer eigenen Ideologie entspricht. Kunststück.
Die Widersprüche wurden nicht unkenntlich gemacht, sondern zunehmend eingeebnet, indem die durch die liberale Wirtschaftsform erwirtschafteten Zuwächse der ganzen Gesellschaft zugute kamen und immer noch zugute kommen. Zur Erinnerung: Wir leben nicht nur im Wohlstand, sondern auch in einer spätindustriellen Zivilgesellschaft. Du aber scheinst in einer Paralleldimension zu leben, in der das "werktätige Volk" (was immer das sein mag) die "nationale Frage stellt" (was immer das sein mag). Wovon sprichst du eigentlich? Angesichts dieses hermetischen Begriffsuniversums aus Phrasen und mit der Zeitmaschine importierten ideologischen Kampfbegriffen, in das du dich da eingeschlossen hast, ist es zunehmend schwer, dir abzunehmen, dass es tatsächlich die bundesrepublikanische Gesellschaft des Jahres 2005 sein soll, über die du dich hier verbreitest. Das ganze Gerede von antagonistischen Klasseninteressen, Bourgeoisie und Proletariat ist längst eine hohle Phraseologie geworden, die an keiner Stelle mehr anschlussfähig ist an die Realität und Komplexität unserer Gesellschaftssysteme. (Und vielleicht war sie nie etwas anderes).
Auch hier musst du meine Postings genauer lesen und nicht sofort reflexartig deine ideologische Soße drüberschmieren. Ich schrieb: Ursächlich sind Homogenitätskonzepte, nicht Patriotismus. Homogenitätskonzepte betreffen sowohl sozialistische Entwürfe klassenloser Gesellschaften als auch Entwürfe nationaler Einschmelzung vorhandener Antagonismen. Darüber hinaus bin ich weit davon entfernt, parlamentarisch-demokratische und liberalökonomische Modelle in den sakrosankten Himmel zu erheben. Nur: Wenn man sie angreift aus einer Position, die ihre Evidenz aus den utopischen und quasireligiösen Menschheits-Erlösungs- und Neuordnungskonzepten vergangener Jahrhunderte abzuleiten angetreten ist, bleibe ich konservativ: Wer Veränderungen oder gar fundamentalen Systemwechsel will, ist gefälligst in der Pflicht, für positiven Fortschritt die Verantwortung zu übernehmen. Und deine gedankenlosen ideologischen Sandkastenspiele mit ihren hundertjährigen Zinnsoldaten und verstaubten Begriffen bieten dafür nun einmal die denkbar schlechtesten Voraussetzungen. Grüße von martin |
Verfasst am: Mi Nov 23, 2005 8:30 pm Titel: | |
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Hallo Beppo, deine späte Replik kommt zu lau und zu unmotiviert, als dass es lohnenswert wäre, hier nun noch einmal einzusteigen. Zu den Teilen, die ich interessant fand, habe ich längst in übertriebener Ausführlichkeit Stellung genommen, und eine Debatte über völkischen Sozialismus als politisches Gegenwartskonzept erscheint mir nicht interessant genug für eine weitere Beschäftigung. Dein Posting bringt auch nichts Neues, und ich hab keine Lust, wieder von vorne anzufangen. martin P.S. Deinen Link habe ich rausgenommen, denn wie schon anfangs erklärt, wollen wir keine Verweise zu extremistischen Seiten. |