Jürgen Möllemann ist tot.  5.6.2003

Höhenflug und tiefer Fall seines Abschieds sind wie das Gleichnis seines politischen Lebens. 

Viele Fragen werden bleiben. Vor allem auch dann, wenn die Ermittlungen tatsächlich eingestellt würden. Und das darf nicht sein. Denn wir sollten endlich lernen, die Achtung zu wahren, auch wenn wir die dunkleren Wahrheiten kennen:

Wie kommt jemand vom Hauptschullehrer durch Politik zu Millionen? 

Wer uns Glauben machen will, es sei ein "System von Möllemann", 
der täuscht uns über das System "für" solche wie ihn.

Möllemann war mir politischer Gegner vor allem der Klarheit, die er für sich in so laut in Anspruch nahm und schließlich genau daran politisch und menschlich scheiterte, dass seine Wege mit den behaupteten Zielen so wenig zu schaffen hatten.

Möllemann war mir politischer Gegner aus Gründen der Schärfe seiner Angriffe,  denn die Wahrheit des Feuers der Feindschaft ist nicht noch Öl darauf, sondern kommt nicht minder zum Ausdruck durch löschendes Wasser, was verantwortlicher wäre.

Möllemann war mir Gegner in so vielem und doch gerade auch darin nur wenig fremd. Für so normal halte ich ihn, dass sein vermeidbares Schicksal all jenen Warnung sein sollte, die kaum weniger in all die Verführung verstrickt sind, die mit der anvertrauten Macht einhergeht - und der so viele Politiker erliegen wie auch die Durchschnittsbürger erliegen würden, weshalb mich anwidert, wenn abfällig von "denen da oben" die Rede ist und jeder wissen kann, dass "die da unten" nicht besser sind.

Nur der Schaden ist größer, wenn "die da oben" so sind wie "die da unten". 

Dieser Unterschied in der Wirkung ist ausnahmsweise irrelevant für das Urteil über den Menschen. -  Da begänne dann Politik als Suche danach, wie die dennoch vorhandene gesellschaftliche Vernunft "oben" zusammenfinde und Moral zu Gesetz werde, die schließlich auch ihre Autoren bindet.

Jürgen Möllemanns Tod ist mir eine Anklage an die Verfasstheit unserer Demokratie, in der sich profiliert, wer dem anderen schadet. 

Möllemanns Tod ist Katastrophe für seine Familie und mir eine Anklage gegen ein Parteiensystem, das wie eine Job-Maschine in eigener Sache handelt und die Rücksichtslosigkeit nach vorn und oben schiebt, damit hinten/unten noch mehr Funktionäre die gleichen Formeln von sich geben, anstatt die Vielfalt von Ideen und Gemeinsames zu sehen, das sich keinesfalls so unterscheiden kann, wie es die Parteien uns Glauben machen, wenn es nicht gerade um Diäten, sondern um Wähler-Interessen geht.

Doch wieder liegt die Schuld nicht allein bei den Vertretern des Volkes, sondern auch bei denen, die sich nicht kümmern, wie sie sich vertreten lassen, obwohl sie wissen, dass dazu nicht reichen kann, zu mosern und alle paar Jahre die Kreuzchenmalerei, sondern Mut zum Mitdenken einschließlich des Irrtums, Mut zur Bürgerinitiative und Nachdenken, wie das heute möglicherweise anders besser funktionieren kann. 

Jürgen Möllemanns Tod ist mir ein Paukenschlag gegen die Monotonie der langweiligen Politikersprüche wie "Ein Schritt in die richtige Richtung ..." und all das Getue, obwohl zu vielen Politikern Machterlangung und Machterhalt über alles geht. 

Ein Mensch ist tot! Und viele spüren jetzt bitter, "dass er einer von ihnen war", so sehr sie auch vorher mit ihm stritten. 

Jürgen Möllemann tut mir leid, weil er nicht begriff, dass Angriff längst nicht immer die beste Verteidigung ist, sondern oft vernichtend angreifbar macht.

Jürgen Möllemann tut mir leid, wie mir alle Verlierer leid tun - und auch, wenn sie sich für Gewinner hielten, denn umso schlimmer muss der Schmerz in Einsicht des Irrtums sein. 

Jürgen Möllemann tut mir leid, weil er für sich keinen Ausweg fand, vor sich selbst und anderen zu bestehen.

Jürgen Möllemann tut mir leid, dass niemand da war, der ihm zu helfen verstand. 

Jürgen Möllemann tut mir leid für die Einsamkeit, die solchen Menschen beschieden ist, vor deren Berührung sich andere fürchten müssen, weil dann auch bei ihnen das bei ihm Entdeckte vermutet und gefunden werden könnte.

Jürgen Möllemann tut mir leid, weil er "untragbar" wurde anstatt sich zu ändern.

Jürgen Möllemann starb als Politiker und Mensch, gescheitert an den vielen falschen Chancen, die unsere Gesellschaft kennt - und zu schlecht verbietet.

Seiner Familie spreche ich mein Beileid aus und die Hoffnung, dass sie in ihrer Liebe die Kraft für die notwendige Einsicht finden in das, was durch den Tod nicht von Aufklärung ausgenommen sein kann.

Ich trauere um Jürgen Möllemann.

Sven  Internet-Journal.de