Um es in aller Deutlichkeit zu sagen:
Zugunsten
der Beschneidungserlaubnis kann allenfalls vorgebracht werden,
dass die tatsächliche und nachträgliche Einwilligung der vielen
Betroffenen ausreichen solle, denn die Kritik als Schweigensbruch aus
Betroffenenkreisen hat Seltenheit und die Schmerzbeschreibung wird von
zu vielen Betroffenen bestritten - und zwar aufrichtig, zumal der Mensch
vergesslich ist und es oft an simpelster Überlegung fehlen lässt, wie
sie denn darüber denken würden, wenn die Religion da quasi zum
Nachweis der Ernsthaftigkeit verlangen würde, dass im Alter von 18 oder
32 Jahren da noch einmal ein halber Millimeter nachgekürzt werden müsste.
Aber solch zeitgeistige Kompromissformel in irgendeiner Weise zu beschönigen,
ist ethisch unhaltbar. Beispiele:
Die Frankfurter
Rundschau kommentiert: „Die Beschneidung - mag sie nun medizinisch
sinnvoll sein oder nicht - ist ein geringfügiger körperlicher
Eingriff, .."
Dem Autor empfehle ich, sich der Prozedur zu unterziehen, um beurteilen
zu können, ob der Eingriff "geringfügig" ist, wenn die Betäubung
nachlässt. Zumal an einem der empfindlichsten Körperstellen überhaupt,
mit wochenlangen Schmerzen nicht nur beim Urinieren, weil die Wunde
schlecht heilt, die zumeist medizinisch betreut werden muss, um die
Wundhygiene zu gewährleisten, denn "einfach mal waschen" ist
dann eben nicht.
Solche Kommentare dienen dem Frieden zwischen einem dem Kindeswohl
verpflichteten Staat mit den Religionsgemeinschaften, aber es ist ein
unheiliger Frieden, weil einen religiösen Ritus verharmlosend.
Einige Vertreter jüdischer Organisationen sehen die Urteile in
antisemitischer Tradition - und tatsächlich sind Beschneidung und Schächten
Hobbythemen von Antisemiten und Antiislamisten, die sich als
Kindeswohlschützer und Islamkritiker aufspielen, aber deren
Themen-Instrumentalisierung rechtfertigt das Schönreden der
Beschneidung nicht.
Viele Vertreter religiöser Vereinigungen verweisen darauf, dass es sich
um eine Jahrtausende überdauernde Tradition handelt, die von mehr als
einer Milliarde Menschen praktiziert wird - und das ist politisch und
wird auch juristisch ausschlaggebend sein, aber moralisch bemisst sich
der Wert einer Tradition nicht nach deren Beständigkeitkeit und auch
nicht nach ihrer Verbreitung, sondern einzig danach, was ihr sittlicher
Nutzen in Abwägung beteiligter Interessen ist.
Zum religiösen Nutzen der Bescheidung wird vorgetragen, dass sie religiöses
Gebot sei, aber so wenig es heute in den meisten Ländern der Erde zulässig
ist, Frauen wegen Ehebruchs zu steinigen, weil mit dem Zeitgeist früherer
Jahrtausende eben doch vernünftiger Weise gebrochen wird, so war das
Verständnis religiöser Gebote schon immer im Wandel auch schon in den
Zeiträumen der Entstehung religiöser Schriften.
Religiösen Menschen die Widersprüche ihrer Quellen zu zitieren, erübrigt
sich, sofern sie denn ihre Quellen überhaupt kennen, nicht bloß
selektiv vorlesen lassen - und auch die Gebote zur Mäßigung ernst
nehmen, dass die Ritualisierungen dem Wohlhandeln stets nachzuordnen
sind.
Vielfach wird auch mit dem hygienischen Nutzen der Beschneidung
argumentiert, aber von Beschneidungen mit ausschließlich hygienischer
Motivation ist mir kein einziger Fall bekannt, so dass die Hygiene als
vorgeschobenes Argument gelten kann, um die religiös motivierte
Beschneidung zusätzlich zu stützen.
Einzig die medizinische Rechtfertigung wegen einer Fimose erscheint
tragfähig, sofern die Fimose tatsächlich korrekt diagnostiziert wird
und nicht bloß vorpubertäres Erscheinungsbild ist.
Die Beschneidung auf Geheiß der Eltern als Ausdruck der
Religionsfreiheit scheidet aus, da der Religionsfreiheit des Kindes
vorgegriffen wird.
Die Beschneidung als Ausdruck des Elternrechts scheidet aus, da sich
Eltern zwar ihrer Kinder erfreuen sollen, aber in all ihrem Tun dem
Kindeswohl verpflichtet sind.
Einige Kommentare verweisen darauf, dass solch Debatte nach Auschwitz
"nicht ausgerechnet in Deutschland" zu führen sei, aber
Opportunismus in ethischen Fragen ist eine der zahlreichen Varianten
falscher Aufarbeitung der Massenverbrechen, setzt den Ungeist eines
rassistischen Konformismus als Ungeist eines Gleichgültigkeitskonformismus
fort und kann ethisch nicht bestehen.
Trotzdem sei die Kompromissformel
wiederholt, weil meinerseits nun recht vieles gegen die Beschneidung
vorgetragen ist: Ein Beschneidungsverbot scheitert mir an der
hohen Akzeptanz, die solch elterliche Religionsausübung bei den
betroffenen Kindern auch in deren Erwachsenenalter genießt, mit
Ausnahme meiner Wenigkeit und dennoch in Liebe zu meinen Eltern.
Ohne diese Schlussformel will ich nicht namentlich zitiert werden, denn
der Gedankengang hat Bestandteile unterschiedlichen Gewichts, die ohne
die Schlussformel aus ihrer Relation gebracht, also falsch zitiert wären.
Markus S. Rabanus