Jugendkriminalität

Mit dem Buchtitel "Das Ende der Geduld: Konsequent gegen jugendliche Straftäter" machte die Neuköllner Richterin Kirstin Heisig im Juli 2010 posthum Furore, denn jede Gesellschaft lechzt nach Rezepten, wie bösen Kids beizukommen ist.

Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.

(Sokrates, gr. Philosoph, 470-399 v. Chr.)

Heisig erkannte den Zusammenhang zwischen Schulversagen und Kriminalität, sie erkannte Integrationsdefizite, die Erforderlichkeit zeitnaher Reaktion auf Straftaten, auch der Bestrafung sogenannter Ersttäter, die eben oftmals nur erstmals erwischt wurden und frühzeitig umorientiert werden müssen.

Falsches Verständnis und falsches Signal

Gleichwohl treibt Heisig mit dem Titel "Das Ende der Geduld" ein falsches Spiel, wie es in der Neuköllner Politik mit vulgären "Null-Toleranz"-Thesen schon länger Karriere macht und das politische Versagen als gescheiterte Wohltätigkeit kaschiert. Kriminalität ist aber keine Folge von "Geduld", sondern von Nachlässigkeit in der Erziehung, von Angst und Faulheit der Zuständigen, die offensichtlichsten Missstände anzugehen, die dafür erforderlich personellen und sachlichen Mittel aufzubringen - und die Geduld, die es immer braucht und mehr, je komplizierter ein Problem zu lösen ist. Eine untätige Geduld ist keine Geduld, sondern Faulheit oder sogar Gleichgültigkeit. Darüber kann die Teilnahme an Talkshows nicht hinwegtäuschen, die vielen nur dem Selfmarketing, der Eitelkeit, Unterhaltung und den Einschaltquoten dienen.

Und es kommt vor, dass engagierten Leuten der Geduldsfaden reißt, weil sie überfordert sind, aber das löst das Problem der Überforderung nicht. Womöglich war Heisig überfordert. Das würde ihren Buchtitel und Suizid erklären.

Ohne Eltern und Schule scheitert die Jugendstrafjustiz

1. Wenn nicht nach dem Erwachsenenstrafrecht, sondern nach dem Jugendstrafrecht verhandelt wird, dann müssten die Erziehungspflichtigen in den Prozess einbezogen werden, also vor allem die Eltern, die aus der Perspektive der Jugendlichen das natürliche Bindeglied zum Recht der Erwachsenenwelt sind.
Eltern müssten zu dem Fall gehört und beurteilt werden, ob und wie sie ihren Erziehungspflichten nachkommen, ob sie bemüht sind, ob sie amtliche oder vereinsmäßige Erziehungsunterstützung brauchen. Es muss beurteilt werden, ob finanzielle Zuwendungen des Staates, z.B. das Erziehungsgeld zwecktreue Verwendung findet oder (teilweise) in Einrichtungen umgelenkt werden sollte, die den Ausgleich für die elterlichen Erziehungsversäumnisse gewährleisten sollen.

2. Die Schulen brauchen Psychologen/Sozialarbeiter, die sich ausschließlich mit Disziplinproblemen befassen und gesetzlich ermächtigt sind, die familiären Hintergründe aufzuklären. Auch diese Psychologen/Sozialarbeiter sind im Jugendstrafprozess zu hören und zu beurteilen. Die Staatsanwaltschaft sollte befugt sein, das Zusammenspiel der bezahlten und familiären Erziehungspflichtigen zu untersuchen. - Wer bezahlt wird, aber versagt, muss arbeitsrechtlich scheitern. 

Ehrlichere Zeugnisse

3. Es braucht Rückkehr zu ehrlicheren Zeugnissen mit Betragensnoten, genauere Angaben zu den Unterrichtsfehlzeiten, ob mit oder ohne amtsärztlichem Attest. Aber es braucht auch Angaben zu den ausgefallenen Unterrichtsstunden, Angaben zur Fachstundenzahl überhaupt, denn ein nachlässiger Schulbetrieb erzieht nicht zur Schuldisziplin der Schüler. Die Verlogenheit von Zeugnissen, die längst auch für das Berufsleben gesetzliche Vorgabe ist, muss rückgebaut werden, zumindest für alle Schulzeugnisse, die keine Abschluss-Zeugnisse sind.

"Härtere Strafen" ?

4. Unsere Gerichte sprechen immerhin so viele Strafen aus, dass die Gefängnisse zum Bersten überfüllt sind. Die Strafen müssen nicht härter, sondern geeigneter sein, weshalb stets abzuwägen ist, ob Strafe im Einzelfall überhaupt als Erziehungsmittel taugt, ob nicht z.B. Gewöhnungseffekte eintreten, die Moral tiefergründig schädigen, Straftat und Strafe zum Katz-Maus-Spiel verkommen lassen.
Die Vorstellung, dass sich ein Kind/Heranwachsender durch hartes Bestrafen bessere, ist absurd, Ausflucht von Leuten, die zu wenig Geld, Zeit und Phantasie in die Erziehung investieren, keine zielführenden Aufgabenstellungen entwickeln. , wobei die Strafe als ein kaum wegzudenkendes Mittel aus unserer Pädagogik und unserem Rechtssystem erscheint. 

Als würde sich ein Kind nicht an jede Strafe gewöhnen, wenn sie nur oft genug zugefügt wird. Immer wieder erschallt der Ruf nach "härteren Strafen", wobei sich nur die wenigsten Köpfe überlegen, was denn überhaupt für jugendliche Straftäter eine Strafe ist oder was sie bewirkt. Als werde ein Kind davon besser, dass man es nur hart bestraft. Absurd. Und vollkommen gegen jede Erfahrung, denn drakonisch bestrafte Kinder 

Weniger Freiheit statt Gefängnis

5. Insbesondere für jugendliche Gewalttäter wird immer wieder die Gefängnisstrafe gefordert, mit der sich die Gesellschaft zwar auf Zeit von einem Straftäter teuer genug erlöst, aber nur in wenigen Fällen kommen Gewaltstraftäter aus den Gefängnissen als harmlosere Menschen wieder heraus, falls sie sich nicht vorher erhängten, denn die üblichen Großgefängnisse qualifizieren nun mal nicht für das Leben in Freiheit, sondern eher für den Wettstreit mit unlauteren Mitteln.

Sinnvoller wäre es, jugendlichen Straftätern den Missbrauch ihrer Freiheit durch geeignete Schmälerung ihrer Freiheit und positiver Aufgabenstellung zu vergelten. Jugendstrafrichter können ohnehin jede pädagogische Auflage erteilen, Insbesondere per elektronisch überprüftem Hausarrest mit festem Tagesablauf, ein stündlicher oder gänzlicher Hausarrest, der sich um die Zeit verlängert, wie das Tagesprogramm nicht eingehalten wurde. Erforderlichenfalls mit einer Überwachung per Webcam, GPS usw. - alles besser als Gefängnisaufenthalte.

Statussymbole verändern

Handy weg. Führerscheinentzug. Moped weg, Computer weg usw. = Statussymbole (zeitweise) zu entziehen, ist besser für den Straftäter und die Gesellschaft als ein Gefängnisaufenthalt, den Strolche zwar nie "genießen", wie dumme Leute mitunter vermuten, aber mit Wiedererlangung der Freiheit prahlen Strolche mit ihren Gefängnisaufenthalten wie mit einem Ausweis für ihre Gefährlichkeit. 

Bildung als "Strafe"

Bildung kann Einbildung nachschärfen, also Vokabelerlernung als "Strafe" usw. - die Phantasie des Jugendrichters ist erforderlich, ohne dass sie Schikane sein oder sich als Schikane verdächtig machen darf. Der jugendliche Straftäter soll nach der pädagogischen Maßnahme und Strafe positive Fähigkeiten haben, sich zu verwirklichen.

Strafverfahrensdauer überbrücken

6. Eine Gesellschaft, die mitunter erst nach Jahren einen Straftäter vor Gericht bringt, suggeriert ihm: "Du störst uns nicht genug."
Dadurch geht dem pädagogischen Zweck des Jugendstrafrechts verloren. Die Beschleunigung von Strafprozessen bleibt Hauptforderung, aber war schon immer verlangt, doch stets an der chronischen Behäbigkeit und Unterfinanzierung der staatlichen Apparate scheiternd. Und der "Schnellprozess" wäre auch nicht das, wovon sich jemand bessere Urteile zu versprechen hätte.

Es braucht deshalb andere Ansätze, dass begründetenfalls das Mittel einstweiliger Anordnungen die Zeit bis zum Urteil pädagogisch überbrücken: Wer nach dem Jugendstrafgesetz verurteilt werden möchte (= einzuführendes Antragsrecht für Straftäter zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr), soll bis zum Urteil in Hausarrest einwilligen, wenn nicht ohnehin Untersuchungshaft anzuordnen ist.

"Weniger Datenschutz für Straftäter"

...  unfertiger Text.  Demnächst weiter

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