Vor zwei Wochen wurde in Athen ein 15-Jähriger von einem Polizisten erschossen.
Die näheren Umstände sind wenig bekannt, mit hoher Wahrscheinlichkeit
Rechtfertigung für demokratische Proteste, dann aber gegen die Gewalt und nicht
mit Gewalt, die seither andauert und Nachahmer in Metropolen anderer Länder
findet.
Mehr als nur zweifelhaft sind die Schuldzuweisungen auf der Website von
"Solid" (Jugendorganisation der Partei DieLinke) unter dem Titel
"Solidarität mit den Protesten in Griechenland":
"Die Linksjugend ['solid] erklärt sich
solidarisch mit den berechtigten Protesten der SchülerInnen, Studierenden und
GewerkschafterInnen in Griechenland.
Die kaltblütige Ermordung des Schülers Alexis Grigoropoulos durch einen
Polizisten am vergangen Samstag hat uns empört und verdient unsere Verachtung.
Trotz der Verurteilung des Täters übersehen wir nicht die Verantwortung, die
die griechische Regierung für dieses Verbrechen trägt. Sie hat jahrelang das
brutale Verhalten der Polizei geduldet und linke Proteste kriminalisiert. Sie
hat den Mörder, der schon vorher für sein brutales Vorgehen bekannt war,
bewaffnet. Diese Regierung hat kein Recht dazu, sich moralisch über jene zu
erheben, die jetzt Banken anzünden und Steine werfen. Wir verurteilen deshalb
auch die unrechtmäßigen wie gewalttätigen Übergriffe der Polizei gegenüber
den Protestierern, den Tränengaseinsatz auch in Wohnvierteln und die
Eskalationspolitik der konservativen griechischen Regierung. Der Widerstand
gegen Polizeiwillkür und Repression ist spätestens seit den staatlichen
Gewaltexzessen gegen die globalisierungskritische Bewegung in Genua eine
wichtige Aufgabe der gesamten europäischen Linken. Wir übersehen dabei nicht,
dass die Proteste gegen die griechische Regierung auch Ausdruck der
schwerwiegenden sozialen und ökonomischen Verwerfungen im Land sind. Sowohl
durch politische Fehlentscheidungen als auch verschärfend durch die
internationale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise droht die soziale Infrastruktur
zu kollabieren. Sowohl die Gesundheitsversorgung als auch das Bildungssytem
stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Diese Entwicklung wird - wie auch die
anhaltenden Korruptionsskandale in der Regierung - in den deutschen Medien bei
der Beurteilung der derzeitigen Proteste meist ausgeblendet.
Wir rufen alle Mitglieder der Linksjugend ['solid] auf, sich an den Kundgebungen
in Deutschland zu beteiligen und ihre Solidarität mit der Protestbewegung auch
vor Ort kenntlich zu machen."
Hallo Herr Gysi, hallo Frau Pau,
wie gehen Sie mit solch Aufruf um? Was glauben dessen Autoren? Dass die Brandsätze
gegen Polizisten gerechtfertigt seien, weil provoziert? Wer sich provozieren lässt,
sei nicht verantwortlich für sein Treiben?
Und wenn die Polizei in Hamburg nur mit Gummibärchen kommen würde, wären die
Demonstrationen dann friedlich? Und die Unfriedlichen würden von den "Solid"-Leuten
gefasst, den Behörden übergeben? Wo ist die Grenze der Solidarität? Wo ist
die Grenze zwischen Ihrer Partei und Ihrem Jugendverband, wenn es um das Verhältnis
zur Gewalt auf der Straße geht? Und was gewinnt auf der Straße?
Führen Sie diese Diskussion gründlich und mit Selbstkorrektur, denn wer zu
Protesten aufruft, ist für seine Formen mitverantwortlich.
markus s. rabanus >
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