Jüdischer Widerstand
Die nach dem Krieg weit verbreitete Auffassung, die Juden hätten kaum Widerstand gegen ihre Deportationen und schließliche Ermordung geleistet, wurde in den letzten Jahren von der historischen Forschung korrigiert. Nur wenige Juden ahnten zunächst etwas vom ganzen Ausmaß des ihnen zugedachten „Schicksals“. Für viele waren die Informationen über Massenvernichtungslager, die um 1942/43 unter anderem in den jüdischen Ghettos Polens, Litauens, Weißrusslands zunehmend kursierten, nichts anderes als Gerüchte. Die Vorstellung, dass sie als ganzes Volk ermordet werden sollten, erschien den meisten anfangs schon wegen der Dimension solcher in der gegebenen Situation zunächst nicht überprüfbaren Informationen als wenig glaubhaft. Auch wenn sie unter den Repressionen der Nazis schon seit Hitlers Machtergreifung bzw. der Besetzung ihrer jeweiligen Herkunftsländer offensichtlich zu leiden hatten und viele von ihnen schon in den Ghettos an Hunger, Mangelkrankheiten oder in Folge gewaltsamer Übergriffe starben, nahmen sie doch an, dass ihr Leben insgesamt – zumindest als Arbeitskraft – wichtig genug war, um wenigstens als Sklavenarbeiter überleben zu können, bis die Deutschen besiegt seien. So entstand das Bild von den scheinbar willenlosen Opfern, die ihren Verfolgern nichts entgegenzusetzen gehabt hätten.
Tatsächlich war der Widerstand der Juden gegen ihre Mörder, wenngleich unter denkbar ungünstigen Bedingungen, zumindest nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs verbreiteter und vielfältiger, als weithin angenommen wird. Eines der bekannteren Beispiele dafür – und ein Fanal für den jüdischen Widerstand insgesamt – war der Aufstand im Warschauer Ghetto vom 19. April bis zum 16. Mai 1943. Er wurde organisiert durch die jüdische Kampforganisation „ZOB“ in der Endphase der Auflösung des Ghettos durch die Nazis, als alle dort noch verbliebenen Juden in die Vernichtungslager – vor allem nach Treblinka – deportiert werden sollten. Die Untergrundorganisation war von Kurieren, die zwischen dem „arischen“ Teil und dem abgeriegelten jüdischen Ghetto Warschaus unter lebensgefährlichen Bedingungen pendelten, nach und nach mit eingeschmuggelten Waffen, hauptsächlich Handfeuerwaffen (Gewehre, Pistolen und entsprechende Munition), Handgranaten und Sprengstoff beliefert worden. Die in verschiedenen Häusern des Ghettos kämpfenden Gruppen konnten den eindringenden Räumkommandos der SS zunächst in einem Überraschungsmoment hohe Verluste beibringen und sie in die Flucht schlagen. Daraufhin kehrte die SS mit schwerem Gerät wie Panzern und Kanonen zurück. Trotz der Übermacht der Deutschen konnten sich die jüdischen Widerstandsgruppen in einem etwa vier Wochen andauernden Häuserkampf halten. Am Ende blieb den noch übrigen Kämpfern nur die Kapitulation und damit in den meisten Fällen der Tod durch Erschießen. Nur wenige Beteiligte dieses Aufstands konnten sich durch die Abwasserkanäle retten.
Auch in anderen Ghettos bildeten sich jüdische Widerstandsgruppen, die verschiedentlich Ghettobewohnern zur Flucht verhalfen, und vereinzelt auch kleinere Revolten initiieren konnten, so zum Beispiel in Bialystok und Wilna. Ferner gab es in den KZs und Vernichtungslagern Osteuropas in einigen Fällen Revolten und Aufstände der jüdischen Häftlinge bzw. Teilen von ihnen: So kam es zum Beispiel am 14. Oktober 1943 zu einem von jüdisch-russischen Kriegsgefangenen angeführten Aufstand im Vernichtungslager Sobibor in Ostpolen. Dabei gelang es den Aufständischen, neun Angehörige der Wachmannschaften zu töten, bevor die gut vorbereitete Revolte bemerkt wurde. Sie weitete sich zu einem Massenaufstand der Juden aus, denen es gelang, die Tore zum Lager zu öffnen. 320 jüdische KZ-Insassen konnten fliehen. Viele von ihnen schlossen sich anschließend verschiedenen Partisanengruppen in den Wäldern an. Das Ende des Krieges überlebten jedoch nur 47 der Flüchtlinge aus Sobibor. Die Nazis gaben das Lager in Folge der Massenflucht bis Ende 1943 auf.
Im KZ Auschwitz-Birkenau, dem größten Vernichtungslager der Nazis, gab es in der Zeit seines Bestehens etwa 700 einzelne Fluchtversuche, von denen etwa 300 erfolgreich waren. Am 7. Oktober 1944 kam es zum verzweifelten Aufstand des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz, das an den Krematorien, den Verbrennungsöfen für die Opfer der Massenvergasungen, eingesetzt war. Durch die Zündung des von weiblichen Gefangenen eingeschmuggelten Sprengstoffs wurde ein Teil des Krematoriums IV zerstört. 250 Gefangene versuchten eine Massenflucht. Sie alle wurden jedoch relativ schnell gefasst und umgebracht.
Europaweit waren Tausende untergetauchte Juden beteiligt am Partisanenkrieg gegen die deutschen Besatzer, insbesondere in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien, den Balkanstaaten und Griechenland, wo sich jüdische Partisanen meist den bestehenden Widerstandsgruppen anschlossen. In Osteuropa, vor allem im katholisch geprägten Polen, gelang es den aus den KZs und Ghettos Entkommenen eher selten, sich schon bestehenden Partisanengruppen anzuschließen, da dort oftmals auch unter NS-Gegnern antisemitische Ressentiments vorherrschten. Aufgrund dieses Umstands bildeten sich gerade in Polen stärker als in West- und Südeuropa auch eigene spezifisch jüdische Partisaneneinheiten, die trotz ihrer anfänglichen Unerfahrenheit schnell in den Ruf kamen, besonders entschlossene und motivierte Kämpfer gegen die Nazis zu sein, und die im weiteren Kriegsverlauf von der vorrückenden Roten Armee teilweise bevorzugt mit Waffen versorgt wurden. Insbesondere beim sogenannten „Schienenkrieg“, einer Serie von Anschlägen und Sabotageaktionen gegen Eisenbahntransporte der deutschen Wehrmacht an die Ostfront, traten jüdische Partisanengruppen gehäuft in Erscheinung und schlugen zeitweilig erhebliche Lücken in die Kriegsinfrastruktur der Deutschen.
In der mit den Deutschen kollaborierenden französischen Kolonie Algerien waren es jüdische Widerstandskämpfer, die bei der „Operation Fackel“ die als uneinnehmbar geltende Festung Algier von innen erstürmten, und damit einen entscheidenden Beitrag für die Landung der Alliierten und deren anschließenden erfolgreichen Feldzug gegen die deutsche Wehrmacht in Nordafrika leisteten.
Viele Juden, die in den 1930er Jahren und zu Beginn des Krieges vor den Nazis ins sichere Ausland emigrieren konnten, schlossen sich während des 2. Weltkrieges den regulären Truppen der verschiedenen Alliierten an. In vielen Armeen gab es eigene jüdische Einheiten in unterschiedlichen Waffengattungen, die als Soldaten gegen das NS-Regime kämpften. Nach dem Krieg dienten emigrierte deutsche Juden den Alliierten oft als Übersetzer im besetzten Deutschland. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Schriftsteller Stefan Heym, der als Offizier der amerikanischen Armee nach Deutschland zurückkehrte.
Schätzungen zufolge waren europaweit bis zu 1,5 Millionen Juden am regulären militärischen Kampf als auch im Untergrund als Partisanen aktiv am Widerstand gegen die nationalsozialistische Tyrannei beteiligt.
Quelle: Wikipedia 20070122 >> Diskussion>> Herbert Baum