Zum Exitus von EXIT-Deutschland
Die Streichung der EXIT-Gelder wird keine böse Absicht sein, aber zeugt von Unverstand für die Aussteigerproblematik und typischer Sparpolitik, die leichter an solchen Zuschüssen streichen kann als an Beamtenstellen.
Allerdings dürfte im Unterschied zu Streichungen im Kulturbereich durch die Streichung bei EXIT der Spareffekt noch zweifelhafter sein, denn die Kosten, die bei EXIT im Mix professioneller und ehrenamtlicher Arbeit entstehen, würde durch amtliche Sozialarbeit besorgt werden müssen, wäre erheblich teurer bzw. wird ausfallen, ist m.E. überhaupt gar nicht möglich und erzeugt in anderen Ressorts (z.B. Justiz und Strafvollzug) ungleich höhere Folgekosten.
"Warum kann das kein Amt leisten?"
Die Hoffnungen von Sparpolitikern ist realitätsfern, dass die EXIT-Arbeit von Ämtern gewährleistet werden könne, weil solch eine Arbeit eine vom Staat unabhängige Organisationsform braucht, um als Ansprechpartner für Aussteiger überhaupt in Frage zu kommen, insbesondere wenn es sich um jugendliche Straftäter handelt.
Wäre die EXIT-Arbeit eine Sache der behördlichen Dienste, so würde das Projekt durch die Regelwerke der Amtshilfe unweigerlich zu Strafverfolgungszwecken umfunktioniert, denn vieles ist "nicht ohne", was da verlassen wird und jeder Amtsmensch würde um seine Rente fürchten, wenn er seinen Vorgesetzten und der seinen Politikern "verheimlicht", was ihm anvertraut werden müsste, damit die erforderliche Hilfe gewährt wird. Eine endlose der Kette von "Verantwortungsträgern", die nicht für sich behalten dürfen, was auch die Entscheidungen verschleppt, woran jede Intervention ebenfalls, also nicht nur am Vertrauensbruch, scheitern würde.
Wenn es EXIT nicht mehr gibt - und das Aufkommen privater Spenden dürfte für solch ein Projekt nicht hinreichen, dann würde das für uns bedeuten, dass wir dort niemanden mehr hinschicken könnten, der sich bei uns meldet und "nicht sauber ist".
Solchen Leuten könnten wir überhaupt nicht mehr helfen, denn das kam uns in früheren Jahren mit fünfstelligen Geldbeträgen teuer genug und das Betteln irgendwelcher Politiker ist nicht mein Ding.
Was ist Aussteigerarbeit?
EXIT steht m.E. insgesamt vor dem Aus, denn Aussteigerarbeit auf Basis reiner Ehrenamtlichkeit kann nicht funktionieren, zumal es nicht nur Beratung ist, sondern um praktische Hilfen.
Nur in den seltensten Fällen geht um Leute, die bei uns als Aussteiger mitmachten/mitmachen oder im Fernsehen auftreten. Es sind nicht die Leute, die über Monate gemütlich/ungemütlich in unseren Foren den Nationalsozialismus zu propagieren versuchen.
Sondern Anlaufstellen braucht es für Leute, die weniger an "die Macht es Wortes" glauben, sondern sich in Klüngeln befinden, die "Taten sprechen lassen" wollen. Und dann "lief was schief".
Wie lange sie sich mit irgendwelchen Gedanken trugen, ob ihr Opa in der SA oder SS war oder Widerstandskämpfer, wie sie über Auschwitz denken, über Rommel und Dönerbuden, ist zwar für das TV-Publikum und sicherlich auch für uns in den Foren interessant, aber für ihren Anruf bei EXIT ist das vollends belanglos: "Das und das ist passiert. Was soll ich machen?"
Und was es dann braucht, muss schnell gehen, kostet Geld, braucht Experten oder geht daneben. EXIT wurde zum Markenzeichen und zurecht, obwohl weder räumlich noch personell jemals hinreichend ausgestattet.
Ein Hauptproblem: Oft sind sie gar nicht "Aussteiger" im Sinne dessen, dass sie sich in ihrem Denken grundlegend verändert hätten. Darum erlebten wir "Rücksteiger" auch nach Dingern, von denen die Betroffenen dachten: "Das reicht endgültig", aber oft schon nach wenigen Tagen war ihnen wieder anders. Die Zeit vergibt und auch die Szene vergibt solche "Aussetzer" weitgehend genug, während der Weg in die zivile Gesellschaft für "Gezeichnete" steinig bleibt.
Es ist schwierig, wenn man für solche Leute neben ihrem Bedarf an Psycho-Betreuung und Politikdiskussion dann nach Notunterbringung die weiteren Schritte machen will >> Jobs und Wohnungen sucht, Gelder braucht, um ihnen den Umzug zu machen, dann die Anoymität, die oft nicht lange hält, denn wer kann schon darauf verzichten, nicht doch dem einen oder anderen "Kameraden" zu sagen, dass "alles in Ordnung" ist und irgendwann die Adresse, der erste Besuch, der Rückbesuch - und womöglich zurück in die Szene. Zwischendurch zwei weitere Anläufe, der Szene "endgültig" den Rücken zu kehren. Ein Eiertanz zwischen Heulen, Zuversicht und Hass.
Extremismus ist nur längst nicht immer eine "Frage der Argumente" oder der "Perspektiven", sondern häufig vor allem ein Problem der sozialen Beziehungen. Bücher wären billig, Soziales ist es nicht.
"Lohnte dann der Aufwand?" - Tja, kommt drauf an, wie man drauf ist, ob einem auch an Menschen liegt, die mühsam sind.
Wer zur Rechtfertigung seiner Hilfsverweigerung glaubt, das sei alles nicht so schlimm und Prozesse innerhalb der Szene harmloser als das, was man bei Hausdurchsuchungen findet, der macht sich etwas vor.
Zur EXIT-Öffentlichkeitsarbeit
Wenn EXIT-Chef Bernd Wagner in den Tagesthemen oder Talkrunden war, kam gut, was er brachte, aber gefragt war er nur zum Rechtsextremismus allgemein. Ähnlich bei den öffentlichen Auftritten unseres früheren Inidia-Mitwirkenden Mathias Adrian >> stets steht die Aufklärung über die Szene im Vordergrund, seltener jedoch die konkrete "Aussteiger-Arbeit" von EXIT.
Diese Schwerpunktsetzung in der EXIT-Öffentlichkeitsarbeit verwundert nicht, denn das Hauptproblem mit dem Rechtsextremismus ist beileibe nicht, dass welche "aussteigen", sondern welche "einsteigen".
So jedoch kam die Öffentlichkeitsarbeit "in eigener Sache" zu kurz, was paradox anmutet, denn kaum einem Projekt gelang in so kurzer Zeit ein derart hoher Bekanntheitsgrad wie EXIT als "Anlaufstelle für Aussteiger", obendrein kein Projekt, dass in der Gesellschaft jedermanns Zustimmung hätte, wie es bei sonstigen Hilfsorganisationen der Fall ist, aber auch die Kampagnen von rechtsextremistischer Seite gegen EXIT waren dem Projekt hinsichtlich der Bekanntheit eher förderlich, wenngleich ganz klar auch lästig und stets Aufmerksamkeit bindend.
Doch Bekanntheit allein genügt nicht, wenn es Gelder braucht, denn mit den spezifischen Problemen der EXIT-Arbeit kommt man schon kaum an die Medien ran, noch schlechter an die Entscheider = Politiker, denen stärker hätte erklärt werden müssen, wie Aussteiger-Arbeit überhaupt funktioniert, was ein "Aussteiger" ist und der "Ausstieg".
Vorherrschend ist unter Politikern eine Selbstgewissheit, dass sie "ja alle gegen den Rechtsextremismus" sind und "geben schon so viel Geld für Kampagnen aus", aber es geht bei EXIT nicht um Kampagnen, sondern um konkrete Hilfe für einzelne Menschen. - Der Politik aber geht es meist nur um die breitere Öffentlichkeit, denn "nach der Wahl ist vor der Wahl" usw.
Für gequälte Kinder ist Geld leichter zu bekommen. Da schauen die Sponsoren zwar auch nur in den seltensten Fällen persönlich vorbei, wie die konkrete Arbeit aussieht, aber es sind Kinder - und da wird man helfen wollen. Das ist auch okay.
Anders bei Projekten für Rechtsextremisten, oft genug recht gewöhnungsbedürftige Leute:-), da ist es mit den Spenden schon deutlich schwerer.
Wenn uns künftig Rechtsextremisten und Aussteiger um Hilfe bitten, obwohl unsere Seiten seit langem ausdrücklich Abstand nahmen, aber vermutlich macht uns grad das in drängenden Situationen "anziehend", dann werden wir sie nicht mehr an EXIT verweisen können. Und es dürfte wenig bringen, wenn wir sagen: "Wende Dich an den Innenminister."
Mal überlegen, wie wir uns auf die neue Situation einstellen. Aber es kommt eben auch vor, dass es keine Lösung gibt.
Grüße von Sven >> Diskussion