EU-Sprachen  
 

"Deutsch als dritte Arbeitssprache auf europäischer Ebene - Verstärkte Förderung der deutschen Sprache im Ausland" - Rede von Staatsminister Hans Martin Bury im Deutschen Bundestag, 22. Mai 2003

Europa ist ein Kontinent mit vielen Sprachen. Sprachen mit
unterschiedlichen Wurzeln, ihrer spezifischen Geschichte und
Prägung durch nationale Erfahrungen. Sprachen, deren Vielfalt
zum kulturellen Reichtum Europas gehört.

Vor gut fünf Wochen wurde in Athen – dem Ursprung
europäischer Demokratie und Kultur - der Vertrag zum Beitritt
von zehn Ost- und Südosteuropäischen Ländern zur Europäischen
Union unterschrieben. Unser Kontinent wächst zusammen, der
Eiserne Vorhang, der Europa 50 Jahre trennte, ist endgültig
gefallen, Europa wieder vereinigt. Wir nutzen jetzt die
großartige Chance, ein Europa des Friedens, des Wohlstandes und
der Sicherheit zu schaffen.

Deutschland ist nicht nur geographisch im Zentrum der
erweiterten Europäischen Union. Auch ökonomisch und sprachlich.


Die Bundesregierung hat sich seit 1998 erfolgreich allen
Versuchen widersetzt, den Status quo in den europäischen
Institutionen zu Lasten der deutschen Sprache zu verändern.
Bundeskanzler Schröder und Präsident Chirac haben vereinbart,
dass Deutschland und Frankreich sich in der Sprachenfrage in den
EU-Institutionen gegenseitig unterstützen. Auf der Grundlage der
gemeinsamen deutsch-französischen Sprachenweisung vom Mai 2001
ist es Deutschland und Frankreich gelungen, die
Dreisprachenpraxis in der Kommission gegen alle Widerstände
beizubehalten. Diesen Weg werden wir fortsetzen. Auch und gerade
in der erweiterten Union.

Unser Ziel ist ein EU-Sprachenregime in der erweiterten Union,
das die Stellung der deutschen Sprache festigt und zugleich die
Effizienz, Transparenz und Legitimiät der Institutionen stärkt
sowie die Sprachenvielfalt und den kulturellen Reichtum födert.
Europa hatte nie das Ziel, Schmelztiegel zu sein oder zu werden.
Europas Stärke ist seine Vielfalt.

Zentrale Grundlage der Sprachenpolitik in der EU bleibt, dass
sich jeder Bürger in seiner Landessprache an die Europäischen
Institionen wenden kann und in seiner Sprache eine Antwort
erhält. Wichtige Dokumente und Veröffentlichung der Union
müssen weiterhin in alle Amtssprachen übersetzt werden. Nur
dann kann dass das Handeln der Union von ihren Bürgerinnen und
Bürgern nachvollzogen und verstanden werden. Dies ist ein ganz
wichtiger Punkt im Hinsicht auf Transparenz und Bürgernähe,
gerade für uns in Deutschland, denn die mit Abstand größte
Bevölkerungsgruppe in der Union hat Deutsch als ihre
Muttersprache.

Für die Organe der Union müssen allerdings andere Regeln
gelten, damit deren Handlungsfähigkeit bewahrt bleibt. In allen
europäischen Institutionen gibt es deshalb schon jetzt spezielle
Sprachregime, die an die neuen Gegebenheiten nach der Erweiterung
der Union auf 25 Mitglieder angepasst und modernisiert werden
müssen. Unser Ziel ist dabei auch, die finanziellen Belastungen
für Deutschland gering zu halten.

Für den Europäischen Rat und die Ministerräte soll es bei
einer Dolmetschung in alle EU-Amtssprachen bleiben. Das
entspricht der Wichtigkeit dieser Organe und wird auch in Zukunft
unproblematisch zu gewährleisten sein.

Auch viele der anderen Organe, Insitutionen und Gremien der
Union können ihr bisheriges Sprachregime beibehalten. So sollen
zum Beispiel Deutsch, Englisch und Französisch weiterhin die
Arbeitssprachen der Kommission und des Ausschusses der Ständigen
Vertreter bleiben.

Veränderungen sind allerdings notwesind bei den 181
Arbeitsgruppen des Rats, die jedes Jahr zu über 4000 Sitzungen
zusammenkommen. Denn bei zwanzig Arbeitssprachen und 380
denkbaren Sprachkombinationen stößt das bisherige
Vollsprachenregime hier zwangsläufig an seine logistischen und
finanziellen Grenzen.

Wir hätten hier bessere Ausgangsbedingungen, wenn die
frühere Bundesregierung unter Helmut Kohl 1993 nicht bei den
Verhandlungen über den Maastrichter-Vertrag eine Einschränkung
des bewährten Sprachenregimes im GASP-Bereich hingenommen
hätte. Ob es der Regierung Kohl damals an nationalem
Selbstbewusstsein oder an Interesse mangelte, vermag ich nicht zu
beurteilen.

Sie haben damals akzeptiert, dass auf der Arbeitsebene in der
GASP nicht mehr gedolmetscht, sondern nur noch Englisch und
Französisch gesprochen wird. Damit wurde eine Regelung
geschaffen, die heute natürlich von all denen, die für die EU
ein reines Zwei-Sprachen-Regime anstreben, als Präzendenzfall
herangezogen wird. Die griechische Präsidentschaft wollte diese
Regelung auf alle Ratsarbeitsgruppen der Bereiche Allgemeines und
Außenbeziehungen ausdehnen. Es ist uns gelungen, dies gemeinsam
mit Frankreich, Spanien, Italien und Österreich zu verhindern.

Die Bundesregierung unterstützt hier das sogenannte
„Marktmodell". Dessen Kerngedanke ist, dass das Recht
auf Dolmetschung erhalten bleibt, jeder Mitgliedstaat jedoch für
die Dolmetschungen zahlt, die er auch beantragt hat. Dabei sollte
es eine „feste Basisgruppe" von Sprachen geben, die
immer gedolmetscht werden. Hierzu zählt neben deutsch, englisch,
französisch, spanisch und italienisch.

Wir sind der Meinung, dass das Marktmodell die Anforderungen
an ein praktisch umsetzbares Sprachenregime für Arbeitsgruppen
am besten erfüllt: Es ist gerecht und transparent, da es jedem
Land die Entscheidung selbst überlässt, Dolmetschung zu
beantragen oder darauf zu verzichten. Es berücksichtigt
weiterhin das Prinzip der Gleichheit aller Sprachen, ohne es zu
einer unzeitgemäßen Prestigefrage zu machen. Und schließlich
werden die vom Marktmodell ausgehenden Steuerungseffekte dazu
beitragen, die Effizienz der Arbeitsgruppen zu erhalten und zu
verbessern und die Kosten für Dolmetschung in der EU insgesamt
zu senken.

Die griechische Ratspräsidentschaft hat die Arbeiten am
Marktmodell vorangebracht. Inzwischen gibt es einen
grundsätzlichen Konsens über die Zielsetzungen des
Marktmodells. Die Bundesregierung ist entschlossen, die
Präsidentschaft auch weiterhin bei der Suche nach einer
konsensfähigen Lösung, die berechtige deutsche Interessen
wahrt, zu unterstützen.

Die Festigung der deutschen Sprache als europäische Amts- und
Arbeitssprache neben Englisch und Französisch ist ein wichtiger
Beitrag zur Stärkung der Position der deutschen Sprache in
Europa.

Aber noch wichtiger ist es, dass Deutsch als lebende und
gelebte Sprache der Menschen im europäischen Alltag seinen Platz
behält und ausbaut.

Die Sprache von Schiller und Goethe, von Thomas Mann und
Günter Grass hat heute unverändert einen guten Klang in der
Welt. Ihre Bücher werden ebenso wie die Gedanken von Kant, Hegel
und Habermas ihren Platz in den Bibliotheken der Welt behalten.
Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass in unserer
globalisierten Welt längst Englisch zur Weltsprache geworden
ist. Deutsch spielt als Wissenschaftssprache heute nur noch eine
untergeordnete Rolle. 90 Prozent des Weltaufkommens
wissenschaftlicher Publikationen sind heute in Englisch
abgefasst. Die Sprache der Wirtschaft ist ebenfalls längst
Englisch.

Dies mag man mit Recht bedauern, aber diesem Wandel müssen
wir uns stellen. Dies wird jedoch weder durch
Sprachenschutzgesetze noch durch Anglizismenjagd oder skurrile
Sprachpanscher-Wettbewerbe selbsternannter Gralshüter des
Reinheitsgebotes der deutschen Sprache gelingen. Wer andere für
das Erlernen von Deutsch als Fremdsprache gewinnen möchte, kann
hierzulande keine Politik der Abschottung betreiben.

Deshalb gibt es auch einen engen Zusammenhang zwischen der
Deutschförderung in Europa und der Förderung der
Mehrsprachigkeit. Wir streben ein Europa an, das sich durch
kulturelle Vielfalt auszeichnet. Dies bedeutet auch, dass
Englisch allein als Sprache der internationalen Verständigung in
Europa nicht ausreicht. Die Reduzierung auf eine Sprache in
Europa würde zu einer kulturellen Verarmung führen. Wir sollten
unser reiches sprachliches Erbe in Europa nicht vernachlässigen.
Mindestens zwei Fremdsprachen zu lernen sollte daher in Europa
überall zur Regel werden. Nur dann gibt es genügend Raum für
eine Fremdsprache neben Englisch. Nur dann hat auch Deutsch als
Fremdsprache in Europa eine Zukunft.

In Finnland etwa hat die Zahl der Deutschschüler in den
vergangenen fünf Jahren um über 80.000 zugenommen, was einem
Zuwachs von 68 % entspricht. Ein ähnlich deutliches Wachstum
beobachten wir in Spanien, Belgien und Portugal. In der Mehrzahl
der EU-Beitrittsländer liegt Deutsch als Fremdsprache auf einem
guten zweiten Platz.

In Frankreich allerdings wird in den Schulen immer weniger
Deutsch gelehrt, wohingehend sich die Zahl der an den
französischen Hochschulen Deutsch lernenden Erwachsenen positiv
entwickelt. Anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrags
haben die Bundesregierung und die französische Regierung deshalb
vereinbart, dem abnehmenden Interesse am Deutschunterricht in
französischen Schulen noch größere Aufmerksamkeit zu widmen.
Ein erstes Projekt sind dabei die sogenannten Deutsch-Mobile.
Deutschlehrer fahren durch Frankreich, besuchen französische
Schulen und machen dort spielerisch Lust auf die deutsche
Sprache.

Die Lust auf fremde Menschen und ihre Sprache, Neugier auf ein
interessantes Land und dessen Kultur, oder auch der Wunsch, in
einem anderen Land zu arbeiten, sind Motive, um eine Fremdsprache
zu erlernen. Wenn dies auch noch mit Spaß, Unterhaltung und
Erfolgserlebnissen verbunden wird, dann sind gute Voraussetzungen
geschaffen, damit das Interesse an der fremden Sprache nicht
nachlässt.

Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal mit einer Delegation
des Deutschen Bundestages in Südostasien war, war ich erstaunt,
wie viele unserer Gesprächspartner fließend Deutsch sprachen.
Sie hatten alle in Deutschland studiert. Heute studieren ihre
Kinder in Kanada oder Australien.

Vor drei Jahren hat die Bundesregierung gemeinsam mit der
Unternehmensinitiative D21 die Greencard für IT-Experten ins
Leben gerufen. Viele ausländische Experten zögerten damals
hierher zu kommen, obwohl sie in deutschen Unternehmen
interessante Stellen hätten antreten können. Sie wollten nicht
in ein Land, dass ihnen keine Perspektive für einen dauerhaften
Aufenthalt bieten konnte. Noch heute haben wir in Deutschland
wegen der Blockadepolitik von CSU/CDU kein zeitgemäßes
Zuwanderungsrecht.

Heute sprechen wir in großer Einmütigkeit über die
Notwendigkeit zur Förderung der deutschen Sprache. Die Interesse
an einer Sprache steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Attraktivität des Landes, in dem sie gesprochen wird. Lassen Sie
uns gemeinsam daran arbeiten, unser Land moderner und
zukunftsgerichteter zu machen.

 

 

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