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den Unterschied
zwischen Antitheismus und Atheismus und Agnostiker |
Nabend Herbert,
nach Deiner Ansicht gilt es zu erfassen, dass die Welt Ergebnis
spontaner Prozesse ist, die eines dahinter stehenden Planers oder
Lenkers nicht bedürfe.
Bis hier wäre es eine Position, die theoretisch sogar auch von Theisten
vertreten werden könnte, denn Gott könnte selbst Teil solch spontaner
Entwicklung sein und desinteressiert an menschlichen Geschicken.
Freilich wäre dieser theoretische Theismus abseits aller mir bekannten
Theologien. Darum sollte man sie jedoch nicht gänzlich beiseite lassen,
denn immerhin interessiert sich die Theorie für alles Denkbare und
versagt sich nicht gleich, weil ihr etwas (noch) nicht erkennbar ist.
Kurzum: das Weltbild einer sich spontan entwickelnden Welt ist kein
zwangsläufig atheistisches Weltbild. Es erübrigt sich vielleicht eher
die religiöse Hinwendung zu Gott, wenn ein solcher Theismus keine
Beziehung zwischen Gott und den Menschen glaubt.
Die sich spontan entwickelnde Welt ist die Wahrscheinlich-Anschauung von
Agnostikern, denen die Existenz Gottes weder letztlich erfahrbar noch
letztlich widerlegbar ist und die sich darin nicht in einen Zwang
bringen lassen, sich pro oder contra zu entscheiden, wie es das innere
Dilemma derjenigen ist, die trotz Fehlens allgemein anerkannter Beweise
für und gegen Gott missionieren. Ein inneres Dilemma, weil "feste
Überzeugung" oder "Glaubensgewissheit", wenn letzteres
mit Missionsgebot gekoppelt ist.
Das Missionsgebot wiederum ist nicht nur einigen Religionen typisch,
sondern findet sich ebenso bei vielen Atheisten oder Vertretern
beliebiger Ideologien und Modelleisenbahner, die ihr Herzensanliegen zum
allgemeinen Anliegen zu machen versuchen. So auch ich: in Dingen des
Friedens unter Bedingungen und Vorrang des Dialogs.
Missionierung wird mir daher nichts Böses sein, ansonsten müsste ich
es lassen. Es kommt halt darauf an, wie weit es geht und ob als Angebot,
richtiges Argument, Täuschung oder Zwang.
Der Agnostizismus ist nicht notwendig atheistisch, sondern ebenso
denkbar als begründete Nichtentscheidung zwischen religiösen
Alternativen.
Der Agnostizismus ist ferner vorstellbar als eine auf andere Weise
idealisierte Gottesvorstellung: einen Gott, der anders sein müsse als
alle Vorstellungen von ihm und alle Darlegungen über ihn aus
Menschenhand.
Freilich ist der Agnostizismus überwiegend anders definiert und als
konsequente Unentschiedenheit in der Gottesfrage, aber es bleibt
immerhin Raum für religiösen Agnostizismus; begründbar aus der
Pluralität der Religionen, begründbar aus dem Fehlen eines allseitig
anerkannten Beweises.
Festhaltenswert vielleicht die Einsicht, dass es den Religiösen gerade
nicht an Beweiskräften fehlt, sondern nur an allgemeiner Anerkennung
des ihnen Erwiesenen, Erfahrbaren = Wahrgenommenen.
Wahrnehmung als interessanter Begriff im Deutschen, denn es enthält
"wahr" und "nimmt" es dafür.
Die Möglichkeit der Sinnestäuschung ist dabei bewussten Religiösen
nicht weniger Geheimnis als dessen bewussten Atheisten.
Untersucht man den Zusammenhang zwischen Atheismus und der Vorstellung
von einer sich spontan entwickelnden Welt, so ist letztere nicht einmal
zwingende Voraussetzung für den Atheismus, denn: "Gott ist
tot."
Gott könnte tot sein, seit gestern, seit 100 Mrd. von Jahren - wer weiß,
womit ich polemisieren will gegen böse Polemik, denn der Theoretiker
sollte so gedankenfrei sein, auch diese Möglichkeit in der Vielzahl der
Möglichkeiten zu sehen. - Auch dafür steht ein allgemein anerkannter
Beweis nicht in Aussicht.
Was bleibt also dem Atheismus an sich, wenn er nicht sogleich Unterfall
seiner selbst sein will?
Einzig: der Glaube, dass es Gott nicht gibt, denn "niemals
gab", "niemals geben wird" sind bereits Unterfälle und
zugleich Mischfälle zur Religiosität.
Nun noch einmal zum Antitheismus: Wer die Religion als Tyrann Hemmnis
der Wissenschaft sieht, wozu die Geschichte reichlich Anlass gibt, der
wird gegen den Theismus plädieren.
Für solch Antitheismus habe ich klares Verständnis und auch Religiöse
sollten sich den historischen Wahrheiten religiösen Versagens nicht
immer und einfach nur damit herausreden, dass es dann "keine
Juden", "keine Christen" oder "keine Muslime"
waren, sondern "böse Menschen, die mit Geboten brachen".
Die gedankliche oder institutionelle Exkommunizierung, wie sie in vielen
Religionen gebräuchlich ist, enthebt ganz und gar nicht von innerreligiösen
Konflikten, sondern war gerade auch darin oft äußerste Zuspitzung und
Schadensstiftung.
Nein, denn in den Religionen stehen die Gebote selbst im Streit und es
kommt überhaupt nicht auf die Glücksformel an "Haltet die
Gebote", sondern die Glücksformel könnte allenfalls lauten:
"Haltet die Gebote so, dass niemand vermeidbaren Schaden
nimmt."
Wenn aber Antitheisten die letztgenannte Alternative religiösen Seins
verkennen, dann wird ihr Antitheismus religionsfeindlich Formen
annehmen, schmälert die Gemeinsamkeiten, was nicht selten bis zur
vollkommenen Ignoranz führt, die dann zwangsläufig auch
Atheisten/Agnostiker wie mich gegen sich ertragen muss, denn ich bin
Gegner blinder Feindschaft.
Was nun unterscheidet sich mir Religionsgegnerschaft von
Religionsfeindschaft? Eigentlich schon gesagt und oft: die Geringschätzigkeit
für das Gemeinsame.
Schon Religionsgegnerschaft hat diese Tendenz, während Religionskritik
abwägen sollte, was für Religion spricht und dagegen, zumindest: was für
einen Religiösen spricht oder gegen ihn.
Kommt mir diese Abwägung zu kurz, so ist es mir keine akzeptable
Religionskritik, sondern Religionsfeindlichkeit und Beschimpfung, die
sich feind-typischerweise auch daran nicht stört, wenn sie sogar
netteste Menschen in ihrem Innersten verletzt. Soweit zum Rübezahl
jedenfalls, wobei ich Theisten dennoch auffordere, auch damit umgehen zu
können, denn atheistische Überzeugtheit kann von ebensolcher
Schadensenergie sein wie religiöse Überzeugtheit, die immerhin oft
genug für Atheisten nur in der Hölle angemessenen Platz zu finden
glaubt.
Nicht alle Gläubigen denken so, nicht alle Atheisten denken so, aber
wenn es auf beiden Seiten solche Verletzer gibt, dann soll es Grund
sein, vom zur erarbeitenden Verständnis zur Verständigung zu kommen
und zu Haltungen, die einander weniger verletzen. - Einige lernen
schnell, andere vielleicht später. Derweil wird gelitten.
Grüße von Sven |