Antisemitismus-Konferenz-2004  
Rede von Dr. Scharioth, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, anläßlich der Öffentlichen Anhörung des Bundestags zur Umsetzung der Abschlusserklärung der Berliner Antisemitismuskonferenz, Berlin, 22.11.2004

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DISKUSSION

Ihrer Einladung zu dieser parlamentarischen Anhörung zum Thema Antisemitismus bin ich sehr gerne gefolgt. Dieses Thema liegt Parlament wie Bundesregierung gleichermassen am Herzen. Und es ist gut, dass Sie die Berliner OSZE-Antisemitismuskonferenz und ihre Erklärung kritisch auf Umsetzung, Desiderata und weitere Perspektiven überprüfen wollen. Denn auf die Implementierung kommt es an. Für uns war immer klar, dass die Berliner Konferenz Teil eines Prozesses ist. Sie hat fortgesetzt, was bei der ersten OSZE-Antisemitismuskonferenz in Wien 2003 begonnen worden ist. Wir müssen jetzt unser Augenmerk darauf legen, wie wir diesen Prozess weiter vorantreiben können.  
Ich möchte zunächst die Antisemitismuskonferenz und das Abschlussdokument kurz bewerten und dann ein Wort dazu, wie es weiter geht bei der Umsetzung der Berliner Erklärung.

Politisch ging es darum, mit der Berliner Konferenz ein weithin sichtbares Zeichen zu setzen, dass die 55 Teilnehmerstaaten der OSZE die Sorge der Juden und Israels um den Anstieg des Antisemitismus ernst nehmen. Bei dieser bislang größten Konferenz im AA haben 900 namhafte Persönlichkeiten, Politiker, Wissenschaftler und Experten, aus über 60 Staaten und von 150 NGOs das Problem des Antisemitismus sowie Maßnahmen zu seiner Bekämpfung eingehend erörtert. 
 
Der gewählte Ansatz war weit: Er umfasste neben gesetzgeberischen Maßnahmen die Rolle der Zivilgesellschaft, der Medien einschließlich des Internets und des Erziehungswesens.  
Die Berliner Konferenz hat etwas zustande gebracht, was bei der Wiener Vorläuferkonferenz noch nicht möglich war: Die Verabschiedung eines Schlussdokumentes im Konsens. In dem Dokument mögen viele Unebenheiten sein; und man mag es sich umfassender oder präziser wünschen. 
Aber: Lange stand dahin, ob es überhaupt ein Dokument geben würde. Den Konsens zu schaffen war schwer. Dass er zustande kam, haben wir als einen großen Erfolg betrachtet. 
 
Politisch hat die OSZE mit einer eindeutigen Verurteilung des Antisemitismus von ihrer politischen Normsetzungskompetenz Gebrauch gemacht. Sie hat im OSZE-Raum eine politisch verbindliche Anspruchsgrundlage zur Ächtung des Antisemitismus geschaffen.   
Antisemitismus ist - so die Berliner Erklärung - eine Bedrohung der menschlichen Grundwerte, der Demokratie und damit auch der Sicherheit im OSZE-Raum.   
Außerdem hat die Erklärung die Teilnehmerstaaten darauf festgelegt, dass internationale Streitfragen, einschließlich solcher in Israel und im Nahen Osten, niemals Antisemitismus rechtfertigen können.   
Um es ganz klar zu sagen und um Missverständnisse von vornherein auszuräumen: Kritik auch gegenüber Israel und israelischer Politik ist, wie gegenüber jedem anderen Staat, selbstverständlich legitim.  
Aber: Wir dürfen und werden nicht zulassen, dass antisemitische Einstellungen als Kritik an israelischer Politik ausgegeben und damit quasi legitimiert werden.

Lassen Sie mich jetzt zu den konkreten Schritten für die Bekämpfung des Antisemitismus kommen, die in Berlin beschlossen worden sind. 
 
Man kann sie in zwei Gruppen unterteilen. 

Die erste umfasst weitreichende Selbstverpflichtungen der OSZE-Teilnehmerstaaten, von der Toleranzerziehung und Integrationspolitik bis hin zur statistischen Erfassung und Strafverfolgung antisemitischer Übergriffe. 

 
Die zweite enthält operative Aufträge an die Menschrechtsinstitution der OSZE, ODIHR. Zu ihnen zählt die systematische Erfassung antisemitischer Übergriffe im OSZE-Raum und die Zusammenstellung bewährter Maßnahmen (sog. "best practices") zu ihrer Bekämpfung.  
Ich komme nun zur wesentliche Frage: Wir müssen jetzt vor allem darauf sehen, dass das in Berlin Vereinbarte auch im gesamten OSZE-Raum umgesetzt wird.   
Ich will drei Punkte herausgreifen:

Grundlage aller Bemühungen muss zunächst eine zuverlässige Übersicht über antisemitische Übergriffe sein. Nur auf dieser Grundlage können wir die Probleme identifizieren und ihnen mit gezielten Maßnahmen begegnen. Hierzu ist vor allem ODIHR gefordert, einen entsprechenden methodischen Ansatz zu entwickeln.
 
Der zweite Punkt sind Programme zur Toleranzerziehung: ein Eckpfeiler jeder Konfliktprävention. Was wir benötigen sind Lehrpläne und Fortbildungsprogramme, die sich mit Antisemitismus und dem Holocaust auseinandersetzen. Dazu gehören natürlich auch Maßnahmen, die den offenen, vorurteilslosen Dialog auf allen Ebenen der Gesellschaft fördern.  
Mein dritter und wohl wichtigster Punkt: All dies kann nicht umgesetzt werden ohne entsprechende Strukturen. Dreh- und Angelpunkt unserer Bemühungen ist daher der Aufbau einer neuen Einheit bei ODIHR, der Tolerance and Non-Discrimination Unit.
Diese Einheit wird für die operative Umsetzung der Ergebnisse der Berliner Konferenz und ihrer Brüsseler Schwesterkonferenz zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung verantwortlich sein. 
Wir haben diese Einheit von Anbeginn durch die Sekundierung einer Expertin vom Antisemitismuszentrum der TU Berlin unterstützt und weitere personelle und finanzielle Unterstützung angeboten. 
 
Es wird nunmehr darauf ankommen, dass in den laufenden OSZE-Haushaltsverhandlungen die erforderlichen Ressourcen bewilligt werden. Die Bundesregierung setzt sich hierfür mit Nachdruck ein.  
Gerade habe ich von Strukturen gesprochen: Diese müssen auch öffentlich sichtbar sein. Wir brauchen eine Persönlichkeit, die unserem Engagement im OSZE-Rahmen Stimme und Gesicht verleiht.
Sie muss die Arbeit von ODIHR - gerader in der Aufbauphase - politisch begleiten und, wenn nötig, auch für Dynamik sorgen. Wir haben uns deswegen mit unseren amerikanischen und französischen Freunden dafür eingesetzt, dass ein Sonderbeauftragter des OSZE-Vorsitzes für den Kampf gegen den Antisemitismus ernannt wird. Dies war nicht ohne weiteres in der OSZE durchsetzbar. Eine entsprechende Resolution der OSZE-PV in Edinburgh, die wir einer Initiative der deutschen Delegation verdanken, hat den Weg vorbereitet. Erst nach schwierigen, langwierigen Verhandlungen ist es in Wien gelungen, einen Konsens zu finden.
 
Ihmzufolge sollen - als Ausdruck des umfassenden Engagements der OSZE im Kampf gegen Intoleranz - drei Sonderbeauftragte zu a) Antisemitismus, b) zu Rassismus und c) zur Diskriminierung von Muslimen ernannt werden. Eine entsprechende förmliche Entscheidung bleibt dem Ministerrat der OSZE in Sofia am 06./07.12.2004 vorbehalten. 

Auch über Sofia hinaus ist der weitere Weg bereits vorgezeichnet: Spanien wird 2005 zu einer OSZE-Konferenz in Cordoba zum Thema Toleranz einladen, in deren Mittelpunkt die Umsetzung der Beschlüsse der Konferenz von Berlin und Brüssel stehen wird. 

 
Abschließend möchte ich sagen: Wir sehen die Berliner Konferenz und unsere Bemühungen im OSZE-Rahmen als Teil eines großen Ganzen. Mit der Berliner Erklärung hat sich die OSZE politisch verpflichtet, zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus beizutragen und geeignete Maßnahmen zu seiner Bekämpfung zu ergreifen. Die Berliner Erklärung ist mithin die erste und eingehendste Festlegung der OSZE, einer Regionalorganisation der Vereinten Nationen mit immerhin 55 Teilnehmerstaaten, auf dem Weg zur Ächtung des Antisemitismus.  
Dies darf nicht nur ein Bekenntnis innerhalb des OSZE-Raums bleiben. Wir setzen uns daher dafür ein, dass auch in den einschlägigen Resolutionen der VN Bezüge auf die Konferenz und auf die Berliner Erklärung aufgenommen werden. Das ist angesichts unterschiedlicher Interessenslagen in den VN ein ungleich schwierigeres Unterfangen als in der OSZE. Gleichwohl wollen wir hier durch beharrliche und kontinuierliche Überzeugungsarbeit allmählich den Boden bereiten. Die jüdischen Gemeinden auch außerhalb des OSZE-Raumes sollen wissen, dass ihre Sorge um Sicherheit und Zukunft unsere gemeinsame Sorge ist - und eine Grundsatzfrage unserer Demokratien.

erschienen: Montag 22.11.04
 

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