"Ahmadinejad gleich Hitler"?
Zu dem von Noa verlinkten Webfilm gehört eine Unterschriftenkampagne, die auch ich unterzeichnete, allerdings im Vertrauen des ersten Eindrucks ohne tiefere Prüfung, ob die Initiatoren ihre Kampagne nicht gegen den Dialog-Bedarf wenden.
Auch diese Initiatoren fordern, dass Ahmadinejad "ernst genommen" werden muss. Das ist wahr. Darum meine Unterschrift.
Aber was heißt "ernst nehmen" genauer?
Wer den iranischen Präsidenten tatsächlich "ernst nimmt", kommt nicht umhin, sich mit seinen "Argumenten" intensiv auseinandersetzen, z.B. mit den in der arabischen Welt sehr bekannten Briefen an Bush und Merkel.
Wer glaubt, Antworten schuldig bleiben zu dürfen, als sei alle anti-israelische Propaganda für die eigentlichen Adressaten selbsterklärender Schwachsinn, der hat von Politik nichts begriffen, hat auch nicht begriffen, dass die Briefe zuvörderst nicht an Bush und Merkel gerichtet sind, sondern auf die öffentliche Meinung der Muslime, der Antisemiten und "Antiwestler" abzielen.
Wenn ich den "Dialog mit Ahmadinejad" fordere, dann ist das zwar auch ein an Ahmadinejad gerichteter Dialog, aber zugleich und vor allem sollte es als Dialog mit den Muslimen verstanden sein, die ihn politisch in die Schranken weisen könnten, wenn ihnen gut genug begründet würde, was ihnen iranische und arabische Schulen offenkundig verschweigen.
Die Tiefenanalysen, Dokufilme, Argumentationsleitfäden nach politischen Katastrophen wären gut für andere Themen eingespart, wenn man den Desastern durch gutes Argumentieren zuvorkommen kann.
Kann man nicht? Alles zwecklos?
Wer so denkt und redet, spricht den Muslimen des Iran und der Welt jede Vernunft, jedes Einsichtsvermögen und jede Möglichkeit zu verantwortlichem Handeln ab.
Wer so über Muslime und Araber denkt, wird sie "für Ahmadinejad" in die Haftung nehmen und letztlich wie Tiere abschlachten, deren Leben weniger zähle als die Leben der eigenen Kämpfer. Das exakt ist der Eindruck, der durch Arroganz und militärische Überlegenheit als unserer "Ultima Ratio" vielen Menschen weltweit vermittelt wird.
Welch ein Wahnsinn, wenn wir uns leisten, solchem Eindruck nicht entgegenzutreten oder ihn gar noch zu verstärken.
Aber Ahmadinejad kann sich nahezu vollständig auf seine "Feinde im Westen" verlassen, dass jede seiner Propaganda-Maßnahmen greift, weil es an qualifizierten Antworten fehlt. Hingegen fehlt es nicht an hilfloser Empörung, die dann in martialischem Gedrohe Heil sucht und Flugzeugträger auffahren lässt, also exakt auf solche Politikmethoden setzt, die dem Iran vorgeworfen werden.
Darum kommt Ahmadinejad an, wenn er sagte, der Westen solle an seinem eigenen Hass ersticken, denn die Reaktionen sind argumentativ zu kurz und irrational. Dass es um die Aktionen von Ahmadinejad nicht besser, sondern schlechter bestellt ist, auch in der Perspektive eines möglicherweise sein System auslöschenden Präventivschlags, ist wiederum Part seiner Irrationalität, aber derer schämt sich nicht, wer im Wahn ist, nichts zu verlieren zu haben.
Aber so verfahren die Situation auch sein mag, kann ein Ausweg nur durch rationales Argumentieren und Handeln sein, sonst landet es in der Sackgasse der Verwüstung.
Darum: Wer dem Iran den Krieg machen will bzw. glaubt "machen zu müssen", der darf dem Krieg keine Lügen voranschicken, wie es beim Irak-Krieg der Fall war, sondern muss die Karten offenlegen, was Gewissheit ist und was Spekulation, denn er wird mehr denn je daran gemessen, was er erklärte und nicht an vermeintlich "selbstverständlicher Wahrheit" verschwieg.
Die verweigerte Anerkennung des Existenzrechts Israels, so unabdingbar und richtig die Anerkennung ist, reicht auch in Kombination mit Holocaustleugnung und Auslöschungsreden politisch für die Vergeltung mit Krieg nicht aus, es sei denn, man nähme in Kauf, dass ein weiteres Land mit Millionen Menschen ins Chaos fallen, wie im Irak geschehen.
Israel und seine Partner kommen nicht umhin, sich gegenüber Palästinensern und Muslimen dafür zu verbürgen, dass die Notwendigkeit zum Völkerkompromiss entschädigt wird, entschädigt würde schon dadurch, dass endlich Frieden wird mitsamt einem Palästinenserstaat, der sich anderes erhoffen darf, als Ressourcen-Reserve Israels zu sein.
Es muss Sensibilität her, dass "das Land unserer Väter" eben vielen Israelis grad nicht das Land "ihrer Väter" ist, sondern oft Land der Väter von Palästinensern,
es muss Sensibilität her, dass Israel zwar für Zionisten ein Ideal, aber für alle Nichtzionisten ein "Kompromiss der Geschichte" ist, der für alle Seiten teuer ist und längst nicht von jeder Seite aus Verbrechen geschuldet oder zu bezahlen ist, für die der Holocaust Zuständigkeit hat.
Krieg kann jeder, Frieden ist schwieriger.
Jedes Kind könnte den Roten Knopf drücken und Teheran oder Jerusalem stünden nur noch auf alten Atlanten.
Je nach Perspektive wäre "ein Problem vom Tisch", je nach Perspektive würden viele darüber nicht weinen, wie es in allen Kriegen an Mitleid mit Feinden fehlt, aber die Gegenwart zivilisierter Gesellschaften ist ungnädiger mit Auslöschern als die Geschichtsschreibung vor dem Holocaust war. Das muss jeder respektieren oder er stolpert über den eigenen Machtmissbrauch.
Heißt das nun, dass "abgewartet werden müsste, dass Ahmadinejad seinen Auslöschungserklärungen Taten hat folgen lässt?
Nein, das heißt es nicht. Aber wer die Gefährdung durch Ahmadinejad nicht will, darf ihn nicht "präventiv" auf der Grundlage eines "Lex Ahmadinejad" abschlachten, sondern braucht dazu ein Weltrecht, das gegenüber allen gilt, ansonsten könnte jeder jeden abschlachten, stets mit der Rechtfertigung, dass es "präventive Verteidigung" sei, denn Tote können immerhin nicht töten.
Solcher Verwahrlosung des Rechts muss der Widerstand gelten, denn auch daraus ist der Hass gegen den Westen, einschließlich Ahmadinejad und seiner Vorgänger, Saddam Hussein, Bin Laden, Milošević und wer sonst noch zum Ultimus Malus erklärt wurde, samt dem Versprechen, dass es das letzte Gefecht zwecks anschließender Besserung werde, anderenfalls drohe der Weltuntergang.
"Der kategorischen Imperativ nach Auschwitz"
Ich las einen Text, der Adorno mit einem "kategorischen Imperativ nach Auschwitz" zitiert, sinngemäß: Alles zu tun, dass sich Auschwitz und ähnliche Verbrechen nicht wiederholen.
Für solche Einsicht braucht es nicht erst Philosophen, aber schon gar nicht solche Idioten, die unter "Alles" sogleich auch Beliebiges und Willkür verstehen. Gerade Willkür wäre falsch und auf die Spitze getrieben erneut ein "Weg nach Auschwitz", wer es mit "Ähnlichkeiten" nicht so genau nimmt, wie es mir bei den Vergleichern der Fall scheint.
Wer also Adornos Spruch etwas abgewinnen will, obwohl das "Nie wieder!" nun wahrhaftig nicht seine Entdeckung ist und einzig das Logo "kategorischer Imperativ" für Feierlichkeit sorgt, der kann dennoch nicht an dem Kategorischen Imperativ Kants vorbei und soll messen, ob ein konkretes Handeln allgemeinsten Anforderungen genügt.
Anderenfalls sollte man sich solche Bezugnahme auf Auschwitz als unverzeihliche Instrumentalisierung der Holocaust-Opfer für kriegerische Politik verbieten.
Es ist die Trostlosigkeit solcher Leute wie Matthias Küntzel, dass sie zwar allerlei Fakten zusammentragen, wofür ich ihnen wirklich dankbar bin, aber die Geistlosen mit hohlem Geschwätz "philosophisch" beglücken, das jede Liebe zum Sinn und Menschen vermissen lässt.
Doch zurück zum "Ernstnehmen":
Wer Ahmadinejad "ernstzunehmen" behauptet, wird sich und der Welt einschließlich Israel nicht helfen, wenn er diesen Mann nur zitiert und zum "zweiten Hitler" erklärt, ihn damit zum "Weltfeind Nummer 1" sehr wohl eben auch "aufwertet", zur Identifikationsfigur aller macht, die nach Opposition zur "westlichen" Dominanz suchen.
"Ahmadinejad=Hitler" scheitert nicht an etwaiger Einmaligkeit verbrecherischer Wesensarten Hitlers, denn so einmalig war da nichts,
wie jeder weiß, dem Hitler nicht der einzige NS-Verbrecher war,
wie jeder weiß, der bei Neonazis reichlich Hitlerisches findet, zumal in Ursachen und Wünschen, nur letztlich ohne Möglichkeit.
"Ahmadinejad=Hitler" scheitert wie alle anderen mir bekannten Reinkarnationsbehauptungen (Saddam, Milo..., Bush, Stoiber, ...) an den im Vergleich stehenden politischen Realitäten und ist allenfalls Metapher maximaler Wertschätzung im negativsten Sinne, wie sie praktisch jeden Politiker treffen kann, sobald die Emotionen geistlos toben.
(mindestens) Drei qualitative Unterschiede
Verglichen wird munter, aber die Unterschiede zwischen Ahmadinejad und Hitler sind erheblich und von entscheidender Qualität: systembedingt, ideologiebedingt und die Reaktionsmöglichkeiten betreffend.
1. Der systembedingte Unterschied zu Hitler, weil und solange Ahmadinejad von geistigen Oberhäuptern und Wahlen abhängig bleibt, wenn er nicht durch die "westlichen" Reaktionen zum echten Alleinherrscher aufgewertet wird.
Dem gilt es Rechnung zu tragen, indem verstärkt das System als die Person angesprochen wird.
2. Der ideologiebedingte Unterschied zum NS, weil sich der Islam (auch in der Teheraner Version) grundlegend von der NS-Ideologie unterscheidet, obwohl die Holocaustleugnung die praktisch-politische Nähe der konkret machthabenden Politiker unverkennbar ist.
Dem gilt es Rechnung zu tragen, indem der Dialog mit dem Islam allgemein verstärkt und die Widersprüche zur Gewaltphilosophie Teherans aufgezeigt werden. Aber das setzt eben auch voraus, dass die Absage an die Gewalt und die Betonung des Rechts auch in der Politik des "Westens" erkennbarer wird. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit des Dialogs.
3. Die heutigen Reaktionsmöglichkeiten betreffend, denn auf dem Hintergrund der Geschichte sollte klar sein,
a) dass die Appeasementpolitik keine Nachgiebigkeit gegenüber Schurken sein darf, sondern tatsächlich dem eigentlichen Begriffssinn treu "Befriedung" und nicht "Befriedigung" sein muss,
b) dass wir heute im Unterschied zu 1939 eine erheblich besser funktionierende Weltorganisation haben, die es rascher zu modernisieren gilt, wenn die Lage der Welt so ernst ist, wie sie beschrieben wird.
Dem gilt es Rechnung zu tragen, indem der Dialog mit den arabischen Staaten und Gesellschaften intensiviert wird, so dass ihnen tatsächlich eine politische Rolle z.B. auch in der Beratung des Nahost-Konflikts eingeräumt wird, die ihnen regional ohnehin gebührt, wenn sich "der Westen" nicht fortgesetzt des Kolonialismus, Imperialismus etc. verdächtig machen will, zumal das antiwestliche Geschwalle von den "Kreuzfahrern" nicht überall auf taube Ohren stößt, sondern geglaubt wird, dem Terrorismus der "Heiligen Krieger" ideologische Basis ist.
Der "Westen" sollte sich nicht zu sehr darin gefallen, von den Staaten und Gesellschaften der arabischen und übrigen Welt aus Schüchternheit und Pragmatismus befürwortet zu sein, sondern eine Wertegemeinschaft auf Grundlage rationalen und gleichberechtigenden Weltrechts erarbeiten.
Unter "Ahmadinejad ernstnehmen" verstehe ich also komplett anderes, als es auf der Demonstration posaunt wurde.
Es braucht DIALOG - und nicht etwa, weil das Projekt hier so heißt, sondern es heißt so, weil es zum Dialog keine Alternative gibt, wenngleich sich mit Dialog allein nicht alles erreichen lässt.
Grüße von Sven 20070130 >> DISKUSSIONIran Friedensforschung Dialog-Lexikon
Die Dialogie ist allen Menschen plausibel, solange sie den Streit anderer in seinen Methoden und Wirkungen beobachten und verurteilen. Aber sobald die eigene Kappe brennt, wird von zu vielen der Verstand weggepackt, als sei die Vernunft mit Wut und Keule zu erwerben.
Für den Dialog bzw. die Diplomatie ist die Feierlichkeit eines "kategorischen Imperativs" gerechtfertigt, denn die Dialogie ist angelegt in aller seriösen Philosophie, wenngleich gegen die herrschende Praxis, in der tagtäglich die Dialogpharisäer dann ausgerechnet in den ernstesten Situationen den Dialog beenden, die "diplomatischen Beziehungen abbrechen" und die Fortsetzung des Dialogs als Verrat und Kollaboration verfemen.