Afghanistan20060513 

Mit Tchibo an den Hindukusch 
Alexander - 13/5/2006, 18:32

Die Große Koalition setzt die unter der alten Bundesregierung begonnene Umstrukturierung der Bundeswehr von einer reinen Verteidigungsarmee zu einer flexiblen und mobilen Interventionsarmee fort. Nach den "Verteidigungspolitischen Richtlinien"[1] sollen Bundeswehreinsätze der "Konfliktverhütung und Krisenbewältigung" (10) sowie der "Unterstützung von Bündnispartnern" (10) dienen. Die Grundlage für die im großen Stil angestrebte "multinationale Sicherheitsvorsorge" (11) bilden Grundgesetz und Völkerrecht. Damit die Bundeswehr im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik internationale Konflikte professionell und flexibel verhüten oder eindämmen kann, entwickelt und verbessert sie ihre militärische Leistungsfähigkeit. Die bislang nicht vorhandenen Teilqualifikationen "Strategische Verlegung" und "Weltweite Aufklärung" sowie ""leistungsfähige und interoperable Führungssysteme und -mittel" (92) werden aufgebaut, die "Grundfähigkeit zur Flugabwehr, zu der auch der Schutz von Truppen im Einsatz vor Angriffen mit Raketen und Flugkörpern gehört" (92), wird optimiert. 

Die in diesen Bereichen begonnene Aufrüstung kronzentriert sich u.a. auf die Anschaffung eines eigenen Spionage-Satellitensystems (SAR-Lupe)[2], 60 Airbus A 400 M mit einer Nutzlast von 25 Tonnen (der den Schützenpanzer PUMA schon in seiner einfachsten Version mit 31,45 Tonnen nicht in "heiße" Einsatzgebiete transportieren kann)[3], 410 Schützenpanzer PUMA, das Luftverteidigungssystem MEADS, 180 EUROFIGHTER, 80 Kampfhubschrauber TIGER, 6 Aufklärungsdrohnen EUROHAWK und diverse Kriegsschiffe sowie Luft-Luft-Raketen und Marschflugkörper.[4] 

Diese Großprojekte verschlingen Milliardensummen. Für das Jahr 2006 beläuft sich der Verteidigungsetat der Bundesrepublik Deutschland auf 23,88 Milliarden Euro. "Für das nächste Jahr sind Verteidigungsausgaben in Höhe von 24,28 Milliarden Euro vorgesehen; in 2008 steigt der Plafond auf 24,58 Milliarden Euro und in 2009 schließlich auf 24,88 Milliarden Euro."[5] Während die Betriebskosten bis 2009 sinken sollen, werden die verteidigungsintensiven Ausgaben schrittweise von "24,6 Prozent (5,8 Milliarden) in 2005 auf 29,1 Prozent (7,2 Milliarden Euro) in 2009" angehoben. Was nicht in das Konzept der Verteidigungspolitischen Richtlinien füllt, veräußert das Bundesverteidigungsministerium. Darunter fallen u.a. die für die Landesverteidigung konzipierten schweren Panzer. Die Erlöse, darunter die aus dem Verkauf von Liegenschaften (60 Mio. Euro), fließen wiederum in besagte Neuanschaffungen der Bundeswehr. 

Dass die Bundesregierung ausschließlich Großprojekte im Visier hat, zeigt ein kurzer Blick auf den Entwicklungsstand der Bundeswehr im Kleinen. Hier geht es um den "Infanteristen der Zukunft": 

"Der "Infanterist der Zukunft" erhält die modernste Ausstattung, die derzeit verfügbar ist: einen Palmtop mit GPS-Anbindung, der die exakte Lokalisierung des Standortes ermöglicht. Restlichtverstärker und Wärmebildgerät ermöglichen Einsätze auch nachts, ein Laserentfernungsmesser gehört genauso zur Ausstattung wie ein Granatwerfer zum Aufsetzen aufs Maschinengewehr G 36. Der Clou ist die modulare Ausstattung und das Agieren im Verbund: Einheiten aus jeweils zehn Infanteristen teilen sich die Ausrüstung nach Bedarf untereinander auf, so dass nicht nur die Offensiv- und Defensivkapazitäten optimal gesteigert werden, sondern auch die durchschnittliche Belastung der Soldaten von derzeit 47 Kilogramm auf 30 Kilogramm reduziert wird. Das stets in der Nähe befindliche "Mutterschiff" (das anzuschaffende Transportfahrzeug BOXER) hält weitere Ausrüstungskomponenten bereit und dient als Verbindungsstation. "Zukunftsweisend" ist das Konzept vor allem dann, wenn man die Kriege der Zukunft vor allem in bebautem Gelände führen will, sprich: in Städten, in denen der Häuserkampf eine infanteristische Angelegenheit ist."[6] 

Der "Infanterist der Zukunft", der in der US-Armee als "Land Warrior" längst im Einsatz ist[7], ist jedoch keine Sache der Bundeswehr. Trägt der US-Soldat bei Kriegseinsätzen eine mehrere zehntausend Dollar teure Ausrüstung, muss der Bundeswehrsoldat für die anstehenden Out-Of-Area Einsätze das nötigte Rüstzeug selber zusammenkaufen. Die Medien berichteten bereits im Januar 2006, dass der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen Funkgeräte für Patrouillen, Kampfrucksäcke in Tarndruck, Kampfschuhe in Tropenausführung oder Bergschuhe fehlen.[8] Auf der Regierungskonferenz vom 10. Mai 2006 wurde schließlich bekannt, dass die in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten nicht nur mit einer mangelhaften Ausrüstung unterwegs seien, sondern auf eigene Rechnung für Ersatz sorgten: 

"Eine Spezialeinheit musste sich praktisch auf eigene Kosten mit einem Fernrohr, das bei einem großen deutschen Kaffeeröster angeboten wird, ausrüsten, um überhaupt die Patrouillendienste, die von den Soldaten verlangt werden, ableisten zu können. Es wurde berichtet, dass das Gleiche auch im Hinblick auf Tarnanzüge, die die Soldaten dort notwendigerweise tragen müssen, geschehen sei, man diese also in Deutschland auf eigene Kosten habe besorgen müssen, um in Afghanistan Dienst leisten zu können."[9] 

Das Bundesverteidigungsministerium betonte, dass die deutschen Soldaten entsprechend den Erfordernissen in den jeweiligen Einsatzländern gut ausgestattet seien. Zu bedenken gab der Ministeriumssprecher Dr. Raabe, dass 

"die Bundeswehr in den vergangenen Jahren auch in Ländern eingesetzt wird, die in der Vergangenheit nicht prioritäres Einsatzgebiet der Bundeswehr waren. Das heißt, auch wir müssen unsere Erfahrungen machen, z. B. in Dschibuti mit hohen Temperaturen und in Afghanistan mit hohen Bergen. All das führt dazu, dass wir unsere Ausrüstung Stück für Stück optimieren."[10] 

Doch diese Optimierung scheint nicht besonders gut zu klappen, sonst hätte ein in Nordafghanistan eingesetzter "Patrouillenführer einer Spezialeinheit, die im Umfeld des Camps Marmal Aufklärungsarbeit leistet", nicht ein Fernrohr von Tchibo besorgen müssen.[11] Dieses 89,90 Euro teure Tchibo-Fernrohr sei für die Terrorabwehr nicht schlecht, schreibt die Berliner Zeitung. In der Produktbeschreibung von Tchibo heißt es: "Die Natur neu entdecken. Umstülpbare Augenmuschel: ideal auch für Brillenträger. Naheinstellung ab 10 m. Stufenlos höhenverstellbares Aluminium-Stativ. Objektiv- und Okularschutzkappe. Mit Aufbewahrungstasche und Linsenputztuch."[12] Sollte dieses Gerät den harten Anforderungen mal nicht genügen, besteht immerhin eine fünfjährige Garantie. 

Auf diese besondere Produktwerbung hat der Kaffeeröster auf seine Weise reagiert. "Wer einen Bundeswehr-Dienstausweis vorlegt, bekommt bis Montag auf jedes Stück einen Preisnachlass von zehn Prozent "und sei es das Herren-Golfschlägerset für Rechtshänder."[13] Tarnanzüge gibt es bei Tchibo nicht zu kaufen. Die besorgen sich die Bundeswehrsoldaten in Fachgeschäften, sogenannten Outdoor-Shops, " auch auf eigene Rechnung. 

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[1] Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Vereidigung vom 21.05.2003, unter: KLICK 

[2] Ralf Bendrath, "Bundeswehr bekommt Augen im All", in: Telepolis vom 12.04.2002, unter: 
www.heise.de/tp/r4/artikel/12/12298/1.html 

[3] Hans-Jürgen Leersch, "Bundeswehr-Airbus A 400M kann Schützenpanzer nicht transportieren", in: Die Welt.de vom 07.07.2005, unter: 
www.welt.de/data/2005/09/07/771530.html 

[4] Vgl. Lähr Henken, "Die Bundeswehr auf dem Prüfstand der Friedensbewegung - Analyse der neuen Bundeswehrstruktur und der aktuellen Rüstungsprojekte, in: IMI-Analyse 2004/007, unter: 
www.imi-online.de/fpdf/index.php?id=838 

[5] Bundesministerium der Verteidigung, "Verteidigungshaushalt 2006", 22.02.2006, unter: BMVG 

[6] Frank Brendle, "Neue Weltordnung schaffen mit den modernsten Waffen - Die Transformation der Bundeswehr: Aufrüstung für den Angriffskrieg", in: Junge Welt vom 05./06.07.2005, unter: Uni-Kassel 

[7] Gerhard Piper, "Der amerikanische Soldat und die Kriege der Zukunft", in: antimilitarismus-information 7-8/2003, unter: 
www.antimilitarismus-information.de/ausgaben/2003/8-03_2.pdf 

[8] Vgl.: Tagesschau.de, "Ausrüstungsmangel und marode Kasernen", 20.01.2006, unter: 
www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5158188_REF1,00.html 

[9] Die Bundesregierung, Regierungspressekonferenz vom 10. Mai 2006, unter: KLICK 


[10] Ebenda. 

[11] Süddeutsche.de, Mit dem Tchibo-Fernrohr auf Patrouille, 10.05.2006, unter: 
www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/559/75484/ 

[12] Tchibo.de, Spektiv unter: KLICK 

[13] Damir Fras, Aufrüsten mit Tchibo, in: Berliner Zeitung vom 13./14.05.2006. 

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Autor >> Alexander

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