Abriss
des Palastes der Republik
Kommentar von Martin 23 Jan, 2006
Der Bundestag hat entschieden: Berlins Mitte wird
geschleift. Eine überwältigende Mehrheit von CDU, SPD und FDP hat letzte Woche
eine Verschiebung des Beginns der Demontage des Palastes der Republik abgelehnt.
Einer Mehrheit der Abgeordneten scheint die Ruine des Palastes nicht mehr als
ein lästiger Klotz am Bein, ein Monstrum, das ihnen den Blick verstellt in die
Zukunft einer pittoresken Neugestaltung des zum 'Herzen der Republik' erklärten
Ortes. Störende Relikte der Vergangenheit dürfen bedenkenlos abgeräumt
werden. Nur: Worin unterscheidet sich solche Mentalität von einer
Architekturpolitik Ulbrichtscher Provenienz, die einst mit der Ruine des
Stadtschlosses ein ganzes zur Vergangenheit erklärtes Gesellschaftsmodell
wegsprengen wollte? Zugegeben: Der Palastabriss ist kein Fanal einer Diktatur,
er ist Wille der Mehrheit der Volksvertretung. Und doch wird dadurch die
Abrissbirne als Instrument von Geschichtspolitik nicht weniger fragwürdig.
Architektur ist immer mehr gewesen als ästhetischer Schein. Sie ist
versteinerte, gebaute Vergangenheit, Erinnerungstopographie, kollektiver Gedächtnisraum:
Walter Benjamin hat aus der Architektur von Paris eine ganze Kulturgeschichte
der Moderne herausgeschrieben, eine luzide Standortbestimmung aus der Sichtung
des Verfallenen und Verfallenden.
Der Wille zum Abräumen dieser materialen Substanz des Gewesenen, die Mentalität
der tabula rasa, fällt zusammen mit Geschichtsvergessenheit. Sie ist der trügerische
Traum einer reinen Gegenwart, die ihre Gewordenheit verdrängt, das
Unabgegoltene getilgt und die Wunden geheilt hat. Als könne man die Weiche zum
deutschen Sonderweg im nachhinein noch einmal anders stellen: Wieder eine
"Art Schadensabwicklung".
Der faszinierende Gedanke einer Einbeziehung der Palastruine in ein neues Gebäude
wäre eine kaum zu überschätzende Chance gewesen, im Zentrum der deutschen
Hauptstadt einen Komplex der Selbstrepräsentation zu schaffen, der sich nicht
einer zwanghaften Leugnung der eigenen Gebrochenheit überlässt: Dokumentation
von historischer Transformation statt Neuerfindungsvision oder gar
Restaurationstraum. Gestaltung eines begehbaren Geschichtsraumes statt Vervollständigung
durch Verfüllung einer Leerstelle im historischen Sinnsystem. Erfahrbarkeit von
Bruchstellen statt deren Ausmerzung.
Dem Stadtschloss gewährten die Hohenzollern Jahrhunderte, um seine Gestalt zu
finden. In der Fälle seiner Pracht kulminierten Höhepunkte ganzer Kunstepochen
- allein schon aus diesem Grund ist es schlechterdings nicht rekonstruierbar.
Jeder Versuch wäre notwendigerweise fader Abklatsch und unvollständige
Kulisse. Dem irgendwann neu zu bauenden Gebäude wird jene Schichtung, jenes
Wachsen in der Tiefe der Zeit, jene Kommunikation der Gegenwart mit der
Vergangenheit aber von vorne herein verboten, weil es im historischen
Niemandsland einer tabula rasa errichtet werden wird. Mit einem rekonstruierten
Stadtschloss werden die Linden ein Stück mehr Wellness-Boulevard, die
vermeintliche Authentizität der Fassaden wäre in Wahrheit nur fake und würde
so die irreale Suche nach historischen Anknüpfungspunkten in ferner
Vergangenheit auf lächerliche Weise konterkarieren.
Der Neubau eines "Humboldt-Forums" dagegen, in welcher Gestalt und mit
welcher Funktion auch immer, würde in seinem Charakter eines in das Fundament
historischer Annihilation hineinbetonierten Neuanfangs die eigene
Geschichtsvergessenheit lediglich unter umgekehrten Vorzeichen demonstrieren.
Bis die Planungs- und Finanzierungsfragen geklärt sind, werden Jahre ins Land
gehen. Bis dahin wird das Zentrum der Berliner Republik Gegenstand einer "gärtnerischen
Gestaltung" sein.
Martin 2006
martin hat folgendes geschrieben: "Der Bundestag hat entschieden: ..." |
-Sven-
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