Genf (Schweiz) / Jakarta (Indonesien), 24.11.2007 wikinews – Manfred
    Nowak, ein hochrangiger UN-Beauftragter, der in den vergangenen zwei Wochen
    die Umstände von Folter in Indonesien vor Ort untersuchen konnte, sieht die
    Situation in dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Erde trotz
    positiver Ansätze mit kritischen Augen.
    
    Auf Einladung der Regierung besuchte Nowak insgesamt 24 Einrichtungen in der
    Hauptstadt Jakarta, der Problemregion Papua, im südlichen Sulawesi, auf
    Bali, in Yogyakarta und Zentraljava. In Anbetracht der fast dreijährigen
    Mitgliedschaft Indonesiens im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gibt
    es einige Tatsachen, die im Vergleich zu internationalen Normen als
    mangelhaft zu betrachten sind.
    
    Im Vorfeld auf einer Pressekonferenz, einen Tag vor der Ankunft des
    Sondergesandten, sagte Rafendi Djamin, Angehöriger einer Arbeitsgruppe für
    Folter in Indonesien: „Wir hoffen Herr Nowak bekommt die Gelegenheit an
    allen notwendigen Orten Informationen zu sammeln, um Behauptungen von
    Folteranwendung in einigen Gebieten zu prüfen.“
    Eine vorher durchgeführte Studie ergab, dass fast 75 Prozent aller 639
    befragten Personen während ihres Verhörs von der Polizei und weitere 4,5
    Prozent vom Gefängnispersonal gefoltert worden waren. Auf seiner Reise, die
    am 10. November begann, hatte sich der Sonderberichterstatter für Folter
    der Vereinten Nationen zunächst mit Mitgliedern der nationalen Kommissionen
    für Menschenrechte Komnas HAM getroffen. Dessen Vorsitzender betonte, dass
    es Folter nicht nur in Gefängnissen gebe.
    Danach besuchte Manfred Nowak Außenminister Wirajuda und den Justizminister
    Mattalatta, der auch für Menschenrechtsfragen verantwortlich ist, sowie
    andere wichtige Beamte, bevor er seine eigentliche Reise durch die Gefängnisse
    des Landes antrat.
    
    Foltern bleibt unbestraft
    
    Nicht in allen Fällen bekam Nowak ungehinderten Zugang zu den Orten, an
    denen er Untersuchungen anstellen und Häftlinge befragen wollte, stellte
    der Experte fest. Wie aus seiner am Freitag in Genf veröffentlichten Erklärung
    hervorgeht, erhielt er Berichte, nach denen Häftlinge in Haftanstalten der
    Polizei mit Fäusten, Kabeln oder einem eisernen Hammer geschlagen worden
    seien. In mehreren Fällen hatten Polizisten aus kurzer Distanz in die Beine
    von Gefangenen geschossen oder diese mit Elektroschockern misshandelt.
    Einige behaupteten auch, dass ihnen schwere Gegenstände auf die Füße
    gestellt worden seien, offensichtlich um Geständnisse zu erzwingen.
    „Die Täter vor Gericht zu bringen sendet ein klares Signal, dass Folter
    und schlechte Behandlung nicht akzeptabel sind“, bedauerte Nowak und fügte
    hinzu, dass die indonesische Regierung nach wie vor damit beschäftigt ist,
    dieses Verbrechen als Tatbestand in das Strafgesetz mit aufzunehmen, trotz
    vieler Empfehlungen von einheimischen und internationalen Beratern. Um dem
    Problem ernsthaft entgegenzutreten sei eine schnelle Umsetzung erforderlich
    – mehrere Jahre Gefängnis sollten im Gesetz verankert werden.
    Die Behörden konnten ihm von bisher keinem einzigen Fall berichten, wo ein
    Beamter wegen Folter verurteilt wurde, auch wenn Informationen über die
    Identität der Täter vorlagen.
    
    Internationale Standards werden nicht eingehalten
    
    Als äußerst besorgniserregend bezeichnete der UN-Gesandte die Umstände,
    nach denen Kinder in Indonesien bereits ab dem achten Lebensjahr strafmündig
    sind und daher in Gefängnissen oder anderen Hafteinrichtungen, meist
    zusammen mit älteren Jugendlichen und Erwachsenen, einsitzen und dort Prügeln
    ausgesetzt sind. In zwei Einrichtungen gaben Jugendliche an, von Polizisten
    oder Mitgefangenen geschlagen worden zu sein.
    Die Leitung einer Jugendhaftanstalt gab sogar offen zu, von Prügelstrafen
    Gebrauch zu machen. Es gibt nur wenige bis gar keine weiblichen Wärter in
    Gefängnisanstalten für Frauen, was aber nach internationalen Mindestnormen
    gewährleistet sein müsste.
    Bei in Verwahrung befindlichen Frauen, die der Prostitution beschuldigt
    werden, kritisiert der Bericht, dass diese bis zu sechs Monate keine Möglichkeit
    haben ihren Fall überprüfen zu lassen.
    
    In Bezug auf häusliche Gewalt begrüßte Nowak die Verabschiedung eines
    Gesetzes im Jahr 2004, auch wenn es noch an der Umsetzung hapert. Ein
    weiteres gutes Beispiel sei der Umgang mit schwangeren Frauen. Diese werden
    zur Entbindung zeitweise entlassen und haben – bis auf einen berichteten
    Fall – die Möglichkeit mit ihren Säuglingen zusammen zu leben. Sie dürfen
    auch engen Kontakt zu ihren älteren Kindern aufrecht halten.
    Gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Häftlingen existieren praktisch
    nicht, im Besonderen in den Untersuchungsgefängnissen. Nur sehr wenige
    haben Zugang zu einem Anwalt. Wenn eine Person Spuren von Folter oder
    Misshandlung aufweise, wird diese normalerweise den Behörden wieder übergeben,
    hatten mehrere Gesprächspartner, darunter auch Mediziner, angedeutet. In
    diesem Zusammenhang und unter Anbetracht der manchmal zweifelhaften Umstände,
    wie Aussagen zu Stande kommen, ist die Anwendung der Todesstrafe
    unangemessen. Die geheime Durchführung dieser sei eine Verletzung
    internationaler Vorgaben.
    
    Empfehlungen an die Regierung
    
    Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Lage im Strafvollzug
    besser ist als in der vorherigen Untersuchungshaft, wo weniger Licht und
    schlechtere Luft ist und die Möglichkeiten der Gefangenen sich körperlich
    zu betätigen eingeschränkt sind. Manfred Nowak erhielt viele Beschwerden
    über zu wenig oder zu schlechtes Essen sowie die eingeschränkte
    medizinische Behandlung. Manche Strafanstalten sind ernsthaft überbelegt
    wie beispielsweise das in Cipinang, in der Hauptstadt Jakarta. Korruption
    ist in dieser Anstalt an der Tagesordnung. Ohne Bezahlungen werden auch
    ernste Krankheiten medizinisch nicht versorgt. Auch HIV/AIDS ist ein großes
    Problem, das angegangen werden sollte.
    Ebenfalls problematisch sei die hohe Zahl von Todesfällen in Gefangenschaft
    – in Cipinang 159 im vergangenen und 107 bereits in diesem Jahr. Der
    UN-Beauftragte fand Hinweise, wonach Neuankömmlinge mit
    „Orientierungsprogrammen“ unter Quarantäne gestellt werden und erstmal
    mehrere Tage in kleinen, dunklen und dreckigen Zellen verbringen müssen.
    Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass es im Hochsicherheitsgefängnis
    Lapas Pasir Putih keine Behauptungen von Folteranwendung gab.
    Trotz einiger auch kurzfristig umgesetzten Verbesserungen der letzten Jahre
    empfiehlt Manfred Nowak der indonesischen Regierung die Ergreifung etlicher
    Maßnahmen, um Verfassungs- und internationales Recht voll einzuhalten,
    darunter an erster Stelle die Verurteilung jeglicher Folteranwendung von
    seiten hoher Beamter und dass solche Praktiken nicht toleriert werden.
    Weiterhin müsse Folter kriminalisiert werden, wie in der jeweiligen
    Konvention vereinbart. Untersuchungshaft sollte nicht länger als 48 Stunden
    dauern und das Alter für Strafmündigkeit sollte angehoben werden. Ebenso
    wie unabhängige Untersuchungen müssten vertrauliche Kanäle eingeführt
    werden, um Opfern die Möglichkeit zu geben ihre Anliegen vorzubringen, ohne
    Repressalien fürchten zu müssen.
    
    Nowaks begrüßte die für 2008 geplante Ratifizierung des Zusatzprotokolls
    gegen Folter, das genau solche Mechanismen vorsieht. Nowaks Besuch war,
    neben dem von Hina Jilani, Sondergesandtin des Generalsekretärs der
    Vereinten Nationen im Juni und dem der Hochkommissarin für Menschenrechte
    Louise Arbour im Juli, die dritte Reise eines hochrangigen Beauftragten der
    UNO in diesem Jahr. Seinen vollständigen Bericht wird er dem
    UN-Menschenrechtsrat vorlegen.
    
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