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Dialoge

1933 - 1983 - 1998


Für Anatner und David!

Es war nicht 1933. Es war die Nacht vom 2. auf den 3.April 1983, die Nacht zum Ostersonntag, 00:50 Uhr. Charlottenburg. Olbersstraße 10. Die Wiking-Jugend war vor meinem Haus aufgezogen und skandierte "Judenschwein! Wir holen Dich raus!" 
Die stabilen Rolläden vor Türen und Fenstern wurden zerstört. Meine Frau wollte fliehen. Aber wohin? Ich versteckte sie hinter dem Mobiliar. Die Scheiben gingen zu Bruch. Halbnackt und barfuß griff ich die Nazis an. Mich traf der Schlagstock, die Stiefel, Schüsse fielen. Klangen scharf. Es war nur Gas. Ich lief, aber jetzt ohne Furcht -  meine Frau war gerettet. Die feigen Nazis! Kommt doch! Keiner traute, mich zu fassen. Zwanzig  Minuten. Die Straße tauchte in Blaulicht der Polizei. - "Mitten im Frieden" -  Man riet mir, umzuziehen ...

Wochen später riefen mich Mitglieder des Sozialistischen Jugendverbandes Karl Liebknecht an. Die Nazis seien gestellt. In einer Gastwirtschaft am Tegeler Weg. Ich kam hin. An der Hauswand aufgestellt blutende Nazis und die Antifaschisten in großer Zahl drumherum skandierten "Nazis raus aus unserer Stadt!" 
Ich drängte mich schützend vor die Nazis und bat, niemals Menschen an die Wand zu stellen. - Die Polizei kam. Alle liefen davon. 
Eine Stunde später hörte ich, wie zwei an meiner Wohnung vorbeilaufende Nazis meinten, daß man bei mir die Scheiben einwerfen müsse. Ich holte sie ein und nahm sie mit zu mir.  Nach 2 Stunden fragten sie: "Meinst Du nicht, daß Dir ein Führer von uns besser antworten könnte?" -  Ich sagte: "Nein."  Sie verabschiedeten sich mit den Worten: "Ja, kann sein."  

Wieder Wochen später erwischte ich einen Nazi aus der Osternacht und verhaftete ihn kurzum. Er stand vor seiner Gesellenprüfung und geriet in Panik.  Ich zeigte ihn nicht an und er versprach mir, alle anderen Täter mitzubringen.  Stattdessen brachte er mir Geld zur Bezahlung des Schadens an meinen Rolläden und Fenstern, aber die "Kameraden" könne er mir nicht nennen und nicht bringen. Er selbst sei schuld, denn er habe "verraten", daß ich hier wohne. Die "Kameraden" würden ihn lynchen -  die "Kameraden".  Würden ihn lynchen !

Er weinte und bettelte, daß ich im glaube. - Umso dringender wollte ich die Typen haben, aber dann hätte ich ihm ebenso drohen müssen. Das konnte ich jetzt nicht mehr, denn jetzt kannte ich ihn und er war so schrecklich "normal".

Nachts traten sie gegen meine Tür und flüsterten laut: "Wir kommen wieder!"
Nachts schlugen sie gegen die Rolläden.  Waren verschwunden, ehe ich nach draußen kam. 

Monatelang ging das Telefon: "Deine blonde Judenhure kommt heute nicht nach Haus!" und aufgelegt. - Angst, jede Minute, bis sie kam. Ich sagte es ihr nie.

Auf mein Fenster wurde geschmiert "Türken raus!" und  "Juda verrecke!"  

Nachbarn, denen ich es nicht zugetraut hätte, begannen damit, Zettel in ihre Fenster zu hängen mit dem Ausruf  "Nazis raus!".  -  Die Hilfe war mir peinlich. Aber sie sie 
wirkte. Die Nazis verstummten. - Alarmanlage, Polizeiruf-Taste, doch die Träume blieben. 

Im November 1998 geschah es nicht mehr in der Nacht. Schönhauser Allee. Drei Skins beschimpfen öffentlich einen Türken. Ein Skin entkam mir nicht. Ich zwang ihn auf die Knie. Er mußte schwören, nochmals schwören und schwören, daß er fortan die Türken liebe, daß er Bubis liebe, daß er absolut jeden Menschen liebe, der ihm nichts Böses getan habe. - Niemals zuvor verletzte ich einen Menschen so sehr, nicht körperlich, aber er schrie die Schwüre vor Angst.
Die Passanten sahen zu ODER weg.  Vorher sagten sie nichts.  Jetzt sagten sie nichts.

Dann sagte ich zu den Leuten: "IHR SEID SCHULDIG, daß ich das getan habe!"

 

 
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